Rezension

Spannend und bissig - das Dorf Unterleuten als Panoptikum unserer Gesellschaft

Unterleuten
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

"Unterleuten" ist der Titel von Juli Zehs Roman und gleichzeitig auch die Beschreibung seines Kerns - der brandenburgische Ort Unterleuten wird dabei zum Panoptikum unserer Gesellschaft. Ein ganz typisches Dorf, so erlebte es zu DDR-Zeiten Zwangskollektivierung und LPG-Gründung, nach der Wende die Privatisierung. Die Bewohner gewinnen und verlieren durch diese Zeiten hindurch, geraten in Abhängigkeiten und Verbindungen. Das Buch wirft einen schonungslosen Blick auf die Gemeinschaft der Einheimischen, die nicht durch die starke Verbundenheit einer gemeinsamen Herkunft und Vergangenheit geprägt ist, sondern vielmehr durch Abhängigkeit, Schuld und Schulden zusammengehalten wird. Auch die Zugezogenen werden unter einem scharfen Licht seziert: Die Motive ihrer Stadtflucht, ihre Sinnsuche auf dem Land, die ihren Sinn verliert, wenn sie erkennen, dass auch hier keine Idylle existiert. Ganz im Gegenteil - die Abhängigkeiten und die alten Streitigkeiten ketten die Menschen in Unterleuten auf Gedeih und Verderb aneinander. Im Roman werden aber nicht nur Zugezogene und Einheimische gegenüber gestellt auch die verschiedenen Generationen und Lebensentwürfe.

Eine Dorfversammlung, auf der der Bürgermeister den geplanten Bau von Windkraftwerken in der Nähe des Dorfes ankündigt, gerät so zur Zündung einer Lunte am Pulverfass der alten und neuen Abhängigkeiten und Feindschaften. Der Kampf um die Windräder beginnt, alte Fehden werden fortgeführt, neue begonnen. Der Roman gibt dem Leser das Gefühl, er würde den Protagonisten beim Schachspielen zusehen, wie sie Zug um Zug versuchen den Gegner zu täuschen und ihn handlungsunfähig zu machen, um ihre Interessen durchzusetzen. Ein Roman wie ein Krimi!

Die einzelnen Kapitel werden aus den unterschiedlichen Sichtweisen der Protagonisten - Einheimische und zugezogene Stadtflüchtlinge - erzählt. Die Außensicht wird durch die Innensicht des Protagonisten korrigiert, es entstehen oft überraschend neue Perspektiven auf die jeweilige Person - Juli Zeh bleibt keinen Klischees verhaftet, niemand ist nur böse oder gut, jeder hat seine Gründe so und nicht anders zu handeln.

Ganz nebenbei werden viele gesellschaftliche Themen aufgeblättert: Die Enteignung der Großgrundbesitzer zur DDR-Zeit, die Gründung der LPG und die Umwandlung nach der Wende, die Zukunftsperspektiven auf dem Land und in der Landwirtschaft, Windkraft.

Was mir auch sehr gut gefällt an diesem Roman, ist der Humor von Juli Zeh, der oft ganz fein und hintersinnig ist. Juli Zeh ist bissig und sarkastisch, aber niemals herablassend gegenüber ihren Protagonisten. Ich bin  restlos begeistert - ein spannendes, witziges und stellenweise auch nachdenklich machendes Buch!

Kommentare

LySch kommentierte am 25. März 2017 um 15:10

Mir gefällt diese Rezi sehr gut! Du hast den Ton und die Atmosphäre von Unterleuten toll eingefangen! Das Buch ist einfach der Wahnsinn, ich jedenfalls habe es verschlungen und es wirkt immer noch nach...