Rezension

Spannend und einfühlsam

Und keiner wird dich kennen - Katja Brandis

Und keiner wird dich kennen
von Katja Brandis

Eigentlich hat Maja alles, was sich ein Mädchen in ihrem Alter wünscht: eine nette Clique, eine tolerante Mutter und Lorenzo, den schärfsten Jungen der Welt als Freund. Wäre da nicht die Angst, die ihr ständiger Begleiter wäre. Denn vor drei Jahren hat Robert, der damalige Freund ihrer Mutter, die komplette Familie tyrannisiert, bedroht und hat dabei auch vor Gewalttätigkeiten nicht zurückgeschreckt. Erst ein Übergriff gegen ihre Mutter hat schließlich zu seiner Festnahme und Inhaftierung geführt und nur langsam hat sich die Familie von diesem Schrecken erholt. Umso geschockter sind sie, als sie erfahren, dass Robert demnächst entlassen wird. Als er sie bereits vorab wieder am Telefon bedroht und dabei deutlich macht, dass er ihren neuen Wohnort kennt, begibt sich die gesamte Familie panisch zur Polizei, die als einzigen Ausweg, die Teilnahme an einem Opferschutzprogramm anbietet. Doch dafür müssen sie ihr komplettes, altes Leben hinter sich lassen und sämtliche Verbindungen zu Verwandten und Freunden abbrechen.

Maja kann sich ein Leben ohne Lorenzo gar nicht vorstellen, aber die Angst um ihre Familie ist so wahnsinnig groß, dass sie letzten Endes dem Neuanfang zustimmt. Nach einiger Zeit der Planung landen sie schließlich in Bayern, unweit von München. Nur langsam schafft es Maja, neue Kontakte zu ihren Mitschülern aufzubauen. Zu groß ist die Angst, ungewollt zuviel von sich preiszugeben. Die neuen Namen und ihre konstruierte Vergangenheit ist der Familie leider nur schwer geläufig und so kommt es, das Maja immer öfter Gefahr läuft, sich zu verraten. Ihre gezwungene Zurückhaltung und die daraus resultierende Einsamkeit verführen Maja letztendlich zu einer verhängnisvollen Entscheidung, die das Leben ihrer Familie aufs Schärfste bedroht.

meine Meinung:

Der im Beltz & Gelberg Verlag erschienene Roman "Und keiner wird dich kennen" von Katja Brandis ist ein spannender Jugendthriller, der die Thematik des Stalkings aufgreift. Dabei gelingt es der Autorin, die Gefühle der Charaktere wundervoll einfzufangen und zu beschreiben. Ich hatte den Eindruck, die Emotionen aller nicht nur nachvollziehen zu können, sondern auch mitzuempfinden. Als Nichtbetroffene kann ich wahrscheinlich nur ansatzweise ermessen, welche Ängste Maja und ihre Familie ausstehen müssen. Allein der Gedanke, dass jemand meinen Kindern wehtun könnte, treibt mir schon die Tränen in die Augen und genau wie Lila würde ich alles dafür tun, um sie zu beschützen. Ich fand es sehr realistisch beschrieben, wie sie nicht nur die starke Mutter ist, sondern in ihren schwachen Momenten auch unter Panikattacken leidet und neben ihrer Angst verständlicherweise ein wenig den Blick für die Sorgen ihrer Tochter verloren hat.

Maja ist für mich eine echte Heldin, denn ich denke, nicht jedes Mädchen in ihrer Situation hätte es geschafft, das Wohl ihrer Familie über die eigenen Wünsche zu stellen. Ihre Einsamkeit an dem neuen Wohnort mit ihrer neuen Identität konnte ich hautnah nachvollziehen. Auch ihren Zwiespalt zwischen dem Wunsch, ein neues Leben zu führen und der Hoffnung, das alte nicht ganz zu verlieren. Es ehrt sie, dass es ihr nicht leicht fällt, ihre neuen Freunde zu belügen, doch dieser an und für sich löbliche Charakterzug bringt sie auch in Schwierigkeiten, da ihr anzusehen ist, dass sie etwas zu verbergen hat. Und so steht sie zwischen zwei Identitäten und damit zwischen zwei Leben und kann in keinem davon richtig Fuß fassen. Sie fühlt sich verloren und ohne Halt und gerät dadurch in Versuchung, unvorsichtig zu werden.

Gut gefallen hat mir auch, dass die Autorin in ihrem Buch auch die Gedanken des Täters erfasst hat und, die in ihrer Verworrenheit und Komplexität genau die richtige Dosis an Verständnis und einen Hauch Mitgefühl aufkommen lassen. Niemand ist von Geburt an böse und ich bin überzeugt, dass erst die Kombination aus den charakterlichen Grundzügen mit dem persönlichen Umfeld einen Menschen erst zu dem machen, was er ist. Aber gerade auch die in der Jugend gelesenen Bücher prägen meiner Meinung nach das Moralverständnis eines Menschen und umso mehr freue ich mich über die hiesige Darstellung des Täters, die beim Lesen weder Hassgefühle, noch allzu starkes Mitleid in mir geweckt und mich eigentlich nur mit einem Gefühl von Traurigkeit für ihn zurückgelassen hat.

Fazit:

"Keiner wird dich kennen" ist ein spannender Jugendthriller mit ausnahmslos starken und detailliert beschriebenen Charakteren. Ich habe beim Lesen komplett mitgefiebert, wodurch sich das ein oder andere Mal auch eine Träne des Mitgefühls in meine Augenwinkel geschlichen hat, während mich die ständig präsente Spannung weiter im Text nach vorne katapultierte. Die Autorin zeigt in ihrem Roman ganz klar auf, wozu Menschen fähig sind, im Guten wie im Bösen, und wie schnell uns unsere Gefühle vom Weg des Verstandes abbringen können. Aber sie weckt auch Verständnis für diejenigen, die sich in einer ähnlichen Situation wie Maja befinden, deren Furcht ihr tägliches Leben bestimmt und, die nichts gegen die Bedrohung unternehmen können solange die Täter die Grenzen des Gesetzes nicht überschreiten. Es ist beängstigend, wieviel Macht ein einziger haben kann und wie leicht es ist, das Leben anderer zu zerstören. Der Roman hat mich gefesselt und zutiefst bewegt und wird mir deshalb noch lange im Gedächtnis bleiben. Von meiner Seite gibt es eine ganz klare Leseempfehlung für das Buch.