Rezension

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spannendes (nicht nur Lehr-)Buch

Boot Camp - Morton Rhue

Boot Camp
von Morton Rhue

Bewertet mit 5 Sternen

Vorteile: spannend, Preis; Nachteil: zu kurz

Ich bin großer Fan von "Die Welle", was ich in der Schule lesen durfte und immer noch gerne lese. Ich ertauschte mir "Boot Camp" günstig bei Tauschticket und innerhalb weniger Stunden hatte ich das komplette Buch aus.
 
MORTON RHUE
Morton Rhue wurde am 5. Mai 1950 in New York City unter dem Namen Todd Strasser geboren. Rhue greift in seinen Büchern kontroverse Themen wie den Nationalsozialismus, Gewalt an Schulen oder Obdachlosigkeit auf und bearbeitet sie für Jugendliche. "Die Welle" ist in Deutschland wohl der bekannteste Roman, da er in vielen Schulen gelesen wird und 2008 mit Jürgen Vogel ins Kino kam. Eine ausführliche Biografie findet man bei Wikipedia.
 
BOOTCAMP

Die Bezeichnung "boot" kommt von den neuen, schweren und harten Stiefeln, die in solchen Camps getragen werden müssen. "Boot" ist außerdem eine ältere amerikanische Bezeichnung für Rekruten in der Grundausbildung.
Das Bootcamp, so wie es in dem Buch vorkommt, ist eine Form, in der Jugendliche allein auf Veranlassung der Eltern als Erziehungsmaßnahme eingewiesen werden. Je nach Status der Einrichtung zahlen die Eltern für diese Dienstleistung sehr hohe Gebühren. Jugendliche, die sich dieser Einweisung widersetzen, können, ebenfalls auf Veranlassung der Eltern, mit Gewalt dazu gezwungen werden. Zu diesem Zweck gibt es professionelle Einfänger, die sich selbst "Transporter" nennen. Die Verweildauer in diesen Einrichtungen kann mehrere Jahre betragen. Lediglich das Erreichen der Volljährigkeit stellt eine Obergrenze dar. Die einzigen Bedingungen, um in ein solches Bootcamp eingewiesen zu werden, sind die Minderjährigkeit des Betroffenen und der Wille der Eltern. Die Befürworter von Bootcamps gehen davon aus, dass diese Form der Umerziehung den Charakter der Verurteilten entsprechend einer Norm formen würde, die vor allem bei der Bevölkerung der USA als erstrebenswert erachtet würde: einem disziplinierten Soldaten. Auf der anderen Seite ist man davon überzeugt, dass ein Gesetzesbrecher nach dieser Tortur nicht mehr straffällig werden will, um diese nie mehr durchmachen zu müssen. Viele Psychologen und Pädagogen stehen den Bootcamps äußerst kritisch gegenüber, weil es in der Regel darum gehe, den Willen eines Menschen zu brechen. Die Jugendlichen würden nur abgerichtet werden, was häufig zu Unterwerfungs- und Minderwertigkeitskomplexen führt. Die gleichen Methoden würden beispielsweise bei der Ausbildung von Elite-Kampftruppen eingesetzt, um den bedingungslosen Gehorsam zu trainieren; damit sei das Ergebnis einer solchen Erziehung eher für den Krieg als für ein Zivilleben geeignet.
Vor allem aber werden Bootcamps von Menschenrechtsschützern abgelehnt. In Bootcamps seien seelische Misshandlungen Teil des Programms. Auch körperliche Misshandlungen seien dokumentiert, obwohl in der Regel das Personal entsprechend den Vorgaben die Insassen nicht von sich aus berühren dürfe. Die ständigen Beleidigungen, Demütigungen und der Druck, in kürzester Zeit ohne Rücksicht auf Verletzungen Aufgaben erledigen zu müssen, die nie zur Zufriedenheit erfüllt werden können, verstießen gegen allgemein anerkannte Menschenrechte. 
 
All das und noch mehr steht ausführlich bei Wikipedia, wo auch Morton Rhue eine Erwähnung findet.
 
DAS BUCH
Maße: ca. 21,5 x 14,5 x 3 cm
Schriftgröße: etwa 3,5 mm
Kapitel: 28 + Nachwort
Neupreis : ca. 6,95 Euro (broschiert) bzw. 12,95 Euro (gebundene Ausgabe) (z.B. bei amazon)
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Verlag: Ravensburger
 
Klappentext: "Connor ist nicht der Sohn, den sich seine Eltern wünschen. Gegen seinen Willen lassen sie ihn in ein Boot Camp bringen. Dort erwartet Connor ein brutales Umerziehungssystem, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt."
 
Das gebundene Buch ist schwarz und zeigt auf dem Cover einen glänzenden Stiefelabdruck - schon da erhält man ein ungutes Gefühl.
 
Bevor es losgeht, stimmen ein paar Zeilen schon mal auf eine düstere Stimmung ein: "Du kommst hier nicht raus, wenn du ihnen vorspielst, was sie haben wollen. Du kommst hier erst raus, wenn du bist, was sie haben wollen." (S. 5), wobei "vorspielst" und "bist" blasser bzw. grau geschrieben sind. Ein Hinweis auf das Ende? Vielleicht, da will ich nicht zu viel verraten.
Die Kapitelnummern werden ausgeschrieben und sind so grau, wie die beiden eben genannten Wörter. Jedes Kapitel trägt eine Überschrift, die eine Regel aus dem Boot Camp widergibt, was mich ein bißchen an "Fight Club" erinnert ("Die erste Regel des Fight Club lautet: Ihr verliert kein Wort über den Fight Club!"):
 
Eins - Du bist verantwortlich für das, was du tust.
Zwei - Du schweigst, bis man dir gestattet zu reden.
Drei - Du stehst, sitzt oder gehst nur mit Genehmigung.
Vier - Du folgst jedem Befehl unverzüglich und ohne zu zögern.
Fünf - Körperliche Zwangsmaßnahmen können auch über einen längeren Zeitraum angewendet werden.
Sechs - Du wirst ständig überwacht.
Sieben - Jeder Verstoß gegen die Vorschriften kostet Punkte.
Acht - Du kannst jederzeit aus jedem Grund auf die Isolierstation kommen.
Neun - Minusunkte verlängern deinen Aufenthalt in Lake Harmony.
Zehn - Lake Harmony hat die Zustimmung deiner Eltern zu körperlichem Drill.
Elf - Du musst von jeder Mahlzeit mindestens die Hälfte essen.
Zwölf - Auf die Krankenstation kommen nur wirklich Kranke.
Dreizehn - Du musst an allen sportlichen Aktivitäten teilnehmen.
Vierzehn - Du hast dein Lernpensum zu absolvieren, um den Anschluss an deine Klasse zu halten.
Fünfzehn - Die kleinste Aufsässigkeit führt zu Minuspunkten.
Sechzehn - Flucht ist ausgeschlossen.
Siebzehn - Du musst uns deine intimsten Gedanken mitteilen.
Achtzehn - Ohne Grund darfst du niemanden anfassen.
Neunzehn - Für deine Entlassung musst du Punkte sammeln.
Zwanzig - Du wirst jeden Verstoß gegen die Regeln sofort melden.
Einundzwanzig - Du musst deine Treue zu Lake Harmony unter Beweis stellen.
Zweiundzwanzig - Du musst akzeptieren, dass es gut für dich ist, in Lake Harmony zu sein.
Dreiundzwanzig - Wenn du in Lake Harmony Erfolg haben willst, musst du dein früheres Leben aufgeben.
Vierundzwanzig - Von Stufe zu Stufe wirst du mit zusätzlichen Privilegien belohnt.
Fünfundzwanzig - Du musst deine Loyalität unter Beweis stellen, indem du deine Mitschüler überwachst und Verfehlungen meldest.
Sechsundzwanzig - Wenn du keine Dankbarkeit empfindest, wirst du in Lake Harmony niemals Erfolg haben.
Siebenundzwanzig - Deine Eltern haben dich nach Lake Harmony geschickt, weil sie dich lieben. 
Achtundzwanzig - Du darfst Lake Harmony verlassen, wenn du deinen Eltern dafür dankst, dass sie dich zu uns geschickt haben.
 
Zuerst ist man dabei, wie die Hauptperson Connor in das Lager gebracht wird. Ironischerweise heisst das Camp "Lake Harmony", doch harmonisch geht es hier ganz und gar nicht zu bzw. nur oberflächlich für die Eltern. Es gibt mehrere Stufen, die man als "Insasse" erreichen muss, um überhaupt wieder aus dieser Hölle rauszukommen. Man erreicht dies durch Punkte. Je höher die Stufe ist, desto mehr Privilegien erhält man - das könnte z.B. ein Fernsehabend sein. Kontakt zur Aussenwelt ist nicht gestattet, die Eltern dürfen erst nach sechs Monaten ihr Kind besuchen. Sie werden zudem vorgewarnt, dass die Kinder sagen könnten, dass sie misshandelt werden, dass dies aber nur eine weitere Lüge dieser Kinder wären, da diese ja so manipulativ sind. Die erste Stufe darf nicht unaufgefordert reden, man darf niemanden anfassen oder irgendwie kommunizieren - man wird in sich selbst isoliert. Alle Versuche, Hilfe zu bekommen, werden abgeschmettert.
Während Connor gefesselt auf der Rückbank eines Autos seiner Transporteure sitzt, hat man noch das Gefühl, dass er ein "schlimmer Finger" ist und vielleicht zu Recht in dieses Camp kommt. Im Laufe der Geschichte stellt sich aber heraus, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass er überdurchschnittlich intelligent ist, sich langweilt und seine Eltern nur an ihre Karriere denken, sowie keinen Tratsch über sich vertragen. Und da passt Connor nicht rein, da seine Liebe Sabrina definitiv nicht in dieses Leben reinpasst. Im Grunde ist Connor nur missverstanden und seine Eltern zu sehr auf sich selbst fixiert, als dass es gerechtfertigt wäre, ihn in so ein Camp zu schicken. Leider ist er nicht der Einzige, der von seinen überforderten Eltern weggeschickt wird, weil die Kinder nicht so sind, wie die Eltern sie haben wollen. Einige von diesen Kindern werden deswegen in und an dem Camp kaputt gehen. Die, die es verdient haben, werden zu grausamen Mittätern. Es wird geprügelt (aber bitte ohne sichtbare Spuren), getreten, mit Worten fertig gemacht. Irgendwann muss man sich entscheiden: Mitmachen oder fliehen? Irgendwann ist man als Leser selbst so fertig, dass man nur noch raus aus dem Camp will und den Fluchtversuch unterstützt und auch Connor endlich dazu bewegen will, der sich dagegen sträubt. Doch was dann passiert, ist nichts für schwache Nerven und die letzten Seiten krallt man sich förmlich in die Seiten fest.
Man kann schon einige Parallelen zu "Die Welle" oder "Das Experiment" ziehen. In Gruppen ist man ja eh immer stärker und wenn man sich der stärkeren Gruppe anschließt, hat man Chancen zu überleben. Wie grausam die Menschen dabei werden können, ist immer wieder unfassbar. Dies auch noch Kindern beizubringen, ist einfach unverantwortlich. Die Kinder, die bei den "Vätern" und "Müttern", denn das Camp sieht sich als "Ersatzfamilie", mitmachen und petzen und helfen und schlagen, werden zu Recht als Gestapo betitelt. Man kann wirklich die Parallele zur Nazizeit ziehen.
So grausam dieses Buch auch ist, grausamer ist da die Vorstellung, dass solche Camps tatsächlich existieren und durchaus beliebt bei Eltern in den USA sind. Dies wird auch noch mal im Nachwort des Autos deutlich, der auf 3 Seiten alle wichtigen Infos packt und aufzeigt, dass sein Buch durchaus der Wahrheit entsprechen könnte und dass Kinder dort keinerlei Rechte haben.
Ich würde dieses Buch für Schulen empfehlen, vielleicht so ab der 7./8. Klasse.
 
DIE SPRACHE
Die Sprache ist sehr einfach, da es ja ein Jugendbuch ist. Es gibt eigentlich keine Fremdwörter und Jugendliche sollten alles ohne Probleme verstehen können. Dies und die Seitennutzung (je 2cm Rand oben, links, rechts und 3cm unten) sind die Gründe, warum man das Buch innerhalb weniger Stunden durch hat.
Das Buch ist aus der Ich-Person und in der Gegenwartsform geschrieben, so dass man intensiver dabei ist.
 
Fazit:
Eines der spannendsten Jugendbücher, die ich kenne. Definitve Kaufempfehlung!