Rezension

Spannendes Thema, langweilige Hauptfigur

Turtles All the Way Down - John Green

Turtles All the Way Down
von John Green

Bewertet mit 3 Sternen

Inhalt

Aza Holmes könnte ein ganz normales, 16-jähriges Mädchen sein - währen da nicht die Gedanken, die sie einfach nicht abstellen kann, die sie immer weiter hinunterziehen in eine Spirale aus Ängsten, von denen sie weiß, dass sie irrational sind.
Als der Miliardär Russel Picket kurz vor seiner Verhaftung wegen Betrugs verschwindet, setzt sich Azas beste Freundin Daisy in den Kopf, den Fall zu lösen und die Belohnung zu kassieren. Dafür nimmt Aza wieder Kontakt zu ihrem Kindheitsfreund Davis, Russels Sohn, auf. Die beiden kommen einander näher, doch Azas Ängste erschweren ihr vieles, was für andere Menschen selbstverständlich wäre.

Meinung

John Green dürfte spätestens nach seinem zu Tränen rührenden Beststeller „The Fault In Out Stars“ („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“) dem Jugendbuch-Publikum ein Begriff sein. Fünf Jahre später widmet er sich in seinem neuen Roman „Turtles All the Way Down“ nun wieder einem für ihn persönlich sehr wichtigen Thema, denn genau wie seine Protagonistin Aza litt er als Jugendlicher (bzw. leidet immer noch) unter Zwangsstörungen.
Da TFIOS zu einem meiner Lieblingsbücher gehört, war ich wirklich sehr gespannt darauf, ob mir Greens neuer Roman ebenso gut gefallen würde. Das Thema klang auch sehr vielversprechend, doch wirklich begeistern konnte mich das Buch leider nicht.

Dass John Green vom Thema OCD (Obessive Compulsive Disorder, zu deutsch „Zwangsstörung“) selbst betroffen ist, merkt man meiner Meinung nach an dessen Umsetzung. Da ich selbst keine Betroffene bin, kann ich mich zur Authentizität der Beschreibungen nicht äußern, doch auf mich haben sie in jedem Fall sehr bedrückend und anschaulich gewirkt. Ich hatte das Gefühl, mir vorstellen zu können, wie Aza sich damit fühlt, ihren Gedanken hilflos ausgeliefert zu sein, was einem beim Lesen sehr mitnehmen kann. Besonders anschaulich, wenn auch zunächst gewöhnungsbedürftig, waren die Szenen, in denen Aza mit ihren Zwangsgedanken innere Wortgefechte führt und man merkt, dass ihre Ängste absolut nicht rational sind und sie sich dessen auch bewusst ist, sich dagegen aber nicht wehren kann.
Generell beschönigt das Buch nichts - wie es auch schon TFIOS zum Thema Krebs nicht getan hat -, ist aber auch nicht völlig niederschmetternd sondern gibt Hoffnung darauf, dass man zumindest vom Freundeskreis und Verwandten Unterstützung und Verständnis bekommen und dennoch ein Leben und Beziehungen führen kann, auch wenn man nicht von jetzt auf gleich geheilt wird.
Interessant ist auch der Aspekt der Psychopharmaka, der hier recht kritisch betrachtet wird, wenn Aza sich die Frage stellt, ob es nicht unheimlich ist, dass Medikamente ihr helfen sollen, sie selbst zu werden.
Dass ein Jugendbuch sich mit einem so selten behandelten Thema auf so sensible Weise auseinandersetzt, ein Bild dieser Krankheit vermittelt und vielleicht Betroffenen das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein, finde ich sehr gut und wichtig.

Auch Azas Beziehung zu ihrer Mutter fand ich sehr interessant. Wie eine psychische Erkrankung sowohl Betroffene als auch Angehörige belasten kann, ist ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt dieses Themas.
Neben der Beschreibung von Azas Erkrankung spielen auch ihre Beziehungen zu ihrer Mutter, Davis und vor allem Daisy eine Rolle. Während die ersteren vor allem durch Azas Erkrankung und das mangelnde Verständnis bzw. die Ahnungslosigkeit der anderen beiden geprägt sind, wird besonders am Beispiel von Daisy nebenbei auch die Schere zwischen arm und reich und die Frage, wie sehr das einen Menschen belasten kann, thematisiert, was ebenfalls sehr interessant war.

Wie auch die anderen Bücher von John Green enthält auch TAtWD wieder eine Menge philosphischer Gedanken und Dialoge und ich habe mir beim Lesen etwa zwanzig tolle Zitate rausgeschrieben, die noch eine Weile zum Nachdenken anregen.
Für eine tolle Abwechslung neben dem Einblick in Azas Gedanken, den man ohnehin bekommt, da sie die Geschichte erzählt, sorgen auch die Blogeinträge von Davis, stets mit einem Zitat und einigen tiefgründigen Gedanken versehen, die mehr darüber verraten, wie er sich gerade fühlt.

Doch leider gab es für mich beim Lesen auch zwei große „Abers“.

Das eine war die Handlung, die in den ersten zwei Dritteln des Buches in meinen Augen kaum vorhanden war. Natürlich erwarte ich von John Green keinen Actionthriller, aber ich hätte mir gewünscht, dass ich im Nachhinein über das Buch reden und bestimmte Ereignisse nennen könnte, die im Laufe der ersten 200 Seiten passiert waren. Tatsächlich könnte ich jedoch nur von den letzten 100 Seiten sagen, was genau Aza gemacht hat und welche Schlüsselmomente es gab. Der Rest des Buches ist eher introspektiv und auf Azas Gedanken konzentriert, doch so sehr ich ruhige Bücher auch schätze: Ich wollte einen Roman lesen, der eine Geschichte erzählt, und kein Buch mit dem Titel „Wie fühlt man sich mit OCD?“. Lediglich eine frühe Stelle des Buches ist mir in Erinnerung geblieben und zwar deshalb, weil sie und ihre Konsequenzen mir sehr an den Haaren herbeigezogen und unpassend vorkamen.
Die letzten 100 Seiten beweisen dann, dass John Green durchaus eine ordentliche Handlung entwickeln kann, denn sie sind spannend und sehr berührend gestaltet und insbesondere das Ende, das bittersüß und weder wirklich fröhlich noch wirklich traurig ist, hat mir sehr zugesagt.

Mein größtes „Aber“ sind allerdings die Figuren, allen voran Aza.
Denn Aza ist, abgesehen von ihrer Krankheit, eine absolut nichtssagende Figur. Gelegentlich hat sie einen sehr tollen, sarkastischen Humor, doch ansonsten erfährt man rein gar nichts über sie, das sie irgendwie besonders oder sympathisch machen würde. Sie hat keine Hobbys, keine besonderen Interessen, keine seltsamen kleinen Angewohnheiten, keine Lieblingsdinge/-plätze/-lieder/-filme. Lediglich die wenigen Geschichten über ihre Kindheit lassen wie eine Figur erscheinen, die nicht nur dafür existiert, an ihrem Beispiel OCD zu beschreiben.
Und das fand ich wahnsinnig schade, denn gerade ein Buch wie TAtWD sollte doch anstreben zu zeigen, dass ein Mensch mehr ist als nur seine Erkrankung, dass man von einer Krankheit nicht definiert wird und so viel mehr ist als das. Leider zeigt das Buch das nicht.
Lediglich Azas Gefühle für Davis und ihr Mitgefühl mit dessen jüngeren Bruder Noah machten sie menschlich und sympathisch.

Die anderen Figuren wurden mir leider nicht viel sympathischer. Daisy, die quirlige, selbstbewusste beste Freundin, die Aza im Grunde nur mitschleift, ist ein absolute Klischee und unglaublich unsympathisch. Sie ist arrogant, selbstbezogen und interessiert sich das Buch über nur für Geld, auch wenn das später wenigstens teilweise erklärt wird.
Davis ist ein zurückhaltender, nachdenklicher und sehr liebenswerter Junge, der manchmal aber auch zu gut erscheint, um wahr zu sein. Bis auf seine philosophischen Überlegungen war er mir manchmal auch zu glatt und langweilig. Am meisten irritierte mich aber, dass ein so intelligenter und sympathischer Junge irgendwann aus dem nichts Sätze wie „Ich mag deinen Arsch“ verwendet, was ich unsympathisch und unpassend fand. Mag sein, dass er Aza damit trösten und ihr zeigen wollte, dass er sie attraktiv findet, auch wenn sie es nicht tut, aber die Wortwahl fand ich eher enttäuschend vulgär.

Fazit

„Turtles All the Way Down“ widmet sich einem sehr interessanten und wichtigen Thema, dem im Jugendbuchbereich bisher sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Zwangs- und Angststörungen. Die Darstellung der Erkrankung und ihrer Folgen für das Leben der Betroffenen ist sehr anschaulich, informativ und nimmt einem beim Lesen mit.
Auch die philosophischen Gedanken und Dialoge, die typisch für John Green sind, haben mir sehr gut gefallen.
Leider schleppt sich die Handlung in den ersten zwei Dritteln eher vor sich hin, bevor sie am (sehr gelungenen) Ende dann doch spannend und berührend wird. Auch die Figuren konnten mich nicht überzeugen, da sie mir entweder zu nichtssagend oder unsympathisch waren.

Empfehlenswert für Menschen, die sich mit dem Thema Zwangsstörungen literarisch auseinandersetzen wollen und John Greens typische, philosophische Gedanken mögen.