Rezension

Spannung von der ersten Seite bis zum Schluss

Engelsgleich
von Martin Krist

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als Hauptkommissar Kalkbrenner zu einem verlassenen Fabrikgelände gerufen wird, ahnt er nicht, was ihn dort erwartet: Zunächst handelt es sich um eine verstümmelte Frauenleiche, doch werden aus den Kloakesilos in unmittelbarer Nähe des Fundorts 11 weitere Leichen herausgezogen, Kinder offenbar, die vor ihrem Tod unfassbare Qualen durchlitten haben müssen, wenn man sich die Verstümmelungen betrachtet.

Ist unter den Leichen auch Merke, die 15jährige Pflegetochter, die von Juli Kluge und deren Lebensgefährtin vermisst wird?

Welche Rolle spielt Markus in dem Spiel? Markus, der als kleiner Handlanger im Drogengeschäft fungiert, aber hoch hinaus will?

 

Martin Krist versteht es sehr gut, mich durch die zahlreichen Handlungsstränge zunächst ein wenig verwirrt dastehen zu lassen.

Kurze Kapitel, ständige Perspektivenwechsel, teilweise sogar innerhalb der Kapitel, schaffen hier ein enormes Tempo, bringen jedoch zu Beginn auch ein gewissen Durcheinander mit sich. Es brauchte seine Zeit, bis ich die einzelnen Stränge entwirrt hatte, die mein Gehirn zunächst miteinander verknüpfen wollte.

Immer wieder kam die Frage auf, wie wohl die Teile zueinander passen werden? Oder sollte es sich doch um voneinander völlig unabhängige Kriminalfälle handeln, die „zufällig“ in einem Buch zusammenfinden? Dies konnte ich mir so nicht vorstellen…

Tja, was soll ich sagen? – Ich wurde in meinen Erwartungen nicht enttäuscht, nein, im Gegenteil! Selten bringt es ein Autor fertig, scheinbar zusammenhanglose Fäden zu einem Ganzen zu verweben und es dabei auch noch absolut plausibel wirken zu lassen. Aber man muss eben Geduld haben, da das Offensichtliche nicht immer des Rätsels Lösung ist.

Hier geht es um mehr als nur Mord: Themen wie Drogenhandel, Prostitution, Pädophilie, Homosexualität, aber auch der „ganz normale“ Familienalltag mit seinem Glück und seinen Tücken finden hier auf knapp 600 Seiten ihren Platz.

Dabei schafft Krist es durchgehend, eine Atmosphäre zu zaubern, die an keiner Stelle gekünstelt wirkt, sondern der jeweiligen Situation vollkommen angepasst ist.

Diesen Eindruck verstärkt der Autor durch die Ich-Erzählperspektive bei der Suche nach Merle. Hier taucht der Leser nicht nur in die Sicht von Juli Kluge ein, sondern wird sogar mehrfach direkt von ihr angesprochen.

Für Spannung ist von der ersten bis zur letzten Seite gesorgt, scheinbar offensichtliche Vermutungen muss der Leser verwerfen und neue Fäden spinnen, um das ganze Geflecht an immer neuen Spuren und Ereignissen gerecht zu werden und das Knäuel zu entwirren.

Dabei gibt es ständig Cliffhanger, die es unmöglich machen, das Buch aus der Hand zu legen!

Am Ende wird deutlich, wie alles zusammenhängt, wobei man nicht unbedingt ein happy end auf ganzer Ebene erwarten sollte…

Ich muss zugeben, das hätte ich bei dem eher unauffälligen Cover in schwarz-grau-weiß mit dem roten Blatt nicht erwartet, da ich die Blutspritzer als obligatorisch für ein Thriller-Cover gewertet hatte – mein Fehler, eindeutig ;-)!

 

Insgesamt kann ich nur sagen: Es war mein erster Krist, aber sicher nicht der letzte!

Nächstes Mal beginne ich mit dem Lesen jedoch dann, wenn ich weiß, dass ich mir die Zeit in einem Zug nehmen kann, da es wirklich nicht lustig ist, warten zu müssen, um zu erfahren, wie alles zusammenhängt!

Meine Empfehlung an dieser Stelle ist daher:

Nehmt euch ein freies Wochenende, schnappt euch das Buch, einen Tee und igelt euch auf der Couch ein, das Telefon werdet ihr ohnehin nicht mehr hören!