Rezension

Staatsangehörigkeit: deutsch, Bekenntnis: israelitisch

Von Zuhause wird nichts erzählt - Laura Waco

Von Zuhause wird nichts erzählt
von Laura Waco

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als Älteste von drei Schwestern wächst Laura in den 50er in Freising und später in München auf. Die drei Schwestern sind Kinder von Holocaust-Überlebenden, die einerseits eine typische Nachkriegs-Kindheit verbringen, ihr Anderssein als Juden und ihre von der verordneten Normalität abweichende Familiengeschichte deutlich spüren. In sehr kindlichem Ton erzählt Laura vom, Alltag einer Familie, deren Eltern in Freising ein Restaurant betrieben, während die drei Töchter in der Münchener Borstei von wechselnden Haushälterinnen erzogen wurden. Laura als Älteste leidet sichtlich unter dem überschäumenden Temperament ihrer frechen kleinen  Schwester Berta. Die Mädchen machen schon früh die Erfahrung, dass ihre Mutter sich distanziert verhält und in der Familie die rolle der schonungsbedürftigen "Jammernden" einnimmt.  Der Vater tut zwar äußerlich alles für Frau und Töchter, sorgt sich um ihre Gesundheit, finanziert Klavierunterricht und Urlaubsreisen, nimmt sonst jedoch – die für die damalige Zeit nicht ungewöhnliche – Rolle des fernen Berufstätigen ein, der bei Konflikten ausrastet und gewalttätig wird. Sehr differenziert beschreibt Waco die widersprüchliche Haltung der Eltern zum jüdischen Glauben. Wenn es um die Schulleistungen der Töchter geht und darum, nicht anzuecken, können jüdische Sitten wie der Schabat ruhig vernachlässigt werden. Als die Töchter Interesse an gleichaltrigen Jungen zeigen, setzen die Eltern jedoch kompromisslos ihre Vorstellungen von der arrangierten Ehe unter jüdischen Partnern durch. Laura Waco schildert eine idyllische Kindheit, in der es jederzeit genug gleichaltrige Spielgefährten gab, man brauchte nur auf die Straße oder ins Schwimmbad zu gehen. An Bärendreck, Strumpfhalter-Leibchen und verhassten Kleidungsstücken, die wohlmeinende Verwandte aus Amerika schickten, können erinnern sich noch viele von Wacos Zeitgenossinnen. Wacos typisch bayrische Kindheit, in der es katholische und protestantische Schulen gab und alle Nicht-Katholiken qua Beschluss zu Protestanten erklärt wurden, ist natürlich auch die Kindheit einer Außenseiterin.

Doch abseits dieser Idylle erkennt Laura sehr deutlich, dass es im Bekanntenkreis ihrer Eltern Dinge gibt, über die Deutsche nicht sprechen. Laura nimmt Frauen wahr, die keine Kinder bekommen können, weil sie während des Nationalsozialismus zwangsterilisiert werden und Freunde ihrer Eltern, deren KZ-Nummer am Unterarm von ihrem Schicksal zeugt. Als Laura als ältere Schülerin ein Referat über den Nationalsozialismus hält, entlarvt sich ihr geliebter Klassenlehrer als Hitler-Verharmloser. Nach ihrem Schulabschluss in Deutschland wird Laura auf eine feudale Finishing-School in London geschickt und gleich anschließend zu Verwandten nach Kanada.

Interessant ist die Entwicklung von Wacos Sprache: Die naive Sicht eines Vorschulkindes wird von der nicht weniger naiven Sicht einer streng behüteten Tochter abgelöst. In den immer kürzer werdenden Texten, die die  erwachsene Laura aus England schickt, verknüpft sich ihre persönliche Reifung mit der Entwicklung ihrer Englisch- und Maschinenschreibfertigkeiten. Über die Entscheidung der Eltern, Laura nach Kanada zu schicken, erfahren die Leser kaum noch etwas: Von Zuhause wird nichts erzählt.

Laura Waco legt eine Biografie vor, in der sie ihre Beziehung zu ihren als distanziert und liebesunfähig erlebten Eltern verarbeitet. Vermutlich ist das Buch auch die Niederschrift von Erinnerungen, die für ihre eigenen Töchter bewahrt werden sollen. Das Buch spricht als Zeugnis erlebter Heimat-Geschichte an, mehr jedoch als Analyse der Familienbeziehungen. Laura Waco hat die Probleme zwischen Eltern und Töchtern auf die Lagerhaft-Erfahrungen der Eltern Schödel zurückgeführt und stets beklagt, dass Kinder von Holocaust-Überlebenden sich als grundsätzlich minderwertig erleben, da ja niemand so schlimmer Erlebnisse haben kann wie die eigenen Eltern. Sie verkennt meiner Meinung nach bei ihrer Einschätzung, dass die Kindheit der drei Schwestern trotz der besonderen Umstände für ihre Zeit auch viele durchschnittliche Merkmale trägt.