Rezension

Stephen Kings 'Misery'

Sie - Stephen King

Sie
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

Sie hat einen Lieblingsautor. Sie ist sein Fan Nummer 1. Und sie hält ihn gefangen bis er ihr Buch geschrieben hat.

Der erfolgreiche Bestseller-Autor Paul Sheldon findet sich in einem Albtraum wieder. Schwer verletzt erwacht er in Annies Fängen, die sich selbst als seinen Fan Nummer 1 bezeichnet. Aber sie mag ihn nur so lange, wie er an ihrer Lieblingsreihe „Misery“ weiter schreibt. Für den Fall, dass er sich ihrem Fan-Gebaren widersetzt, hat sie sich manch verstörende Strafe ausgedacht ...

Mittlerweile habe ich schon etliche Romane von Stephen King gelesen, und traue mir daher sagen, dass es sich hierbei um eines seiner brutalsten Bücher handelt. „Sie“ geht unter die Haut und lässt einen in höchster Anspannung vorsichtig die Seiten lesen, schon allein aus der Angst heraus, dass man sich daran böse schneiden kann.

Der Roman wird aus Pauls Perspektive erzählt. Er ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Diesen Erfolg verdankt er seiner Misery-Reihe. Doch er hätte niemals gedacht, dass diese Besteller-Reihe sein Untergang sein könnte. Obwohl er mit „Misery“ abgeschlossen hat, lässt sie ihn in Form von Annie Wilkes nicht mehr los. Denn sein Fan Nummer 1 verlangt nach einer Fortsetzung, auch wenn es ihm sein Leben kosten kann.

Die Handlung an sich ist im Grunde rasch erzählt, dennoch behandelt King zahlreiche Themen, die der Geschichte unglaubliche Tiefe verleihen. Es geht um das Schriftsteller-Leben an sich, woher die Ideen und die Umsetzung eines Romans kommen, um die Fans, die sich niemals täuschen lassen, und deren Drang, den Autor und seine Figuren als ihr Eigentum zu betrachten.

Er beschreibt unter anderem den „Muss-Zustand“, wie er für Leser und Autor gleichzeitig schön und grausam ist. Der Autor muss schreiben, während der Leser weiterlesen muss. Hier geht King auf den „nur-ein-Kapitel-noch-Effekt“ ein, der die Beteiligten beidseitig fast in den Wahnsinn treibt:

„… und man wusste, man hatte das Muss, ungestüm und lebendig“ (S. 277)

King hat die Schriftstellerei an sich perfekt in Szene gesetzt, in einen Horror-Roman mit Splatterelementen eingebaut und treibt den Leser auf eine Reise in Paul Sheldons Welt mit der Peitsche an.

Gleichzeitig spinnt er auch seine üblichen Themen - wie zB alles zerfressende Sucht, den über alles gefürchteten Tod und den Horror der Realität - ein, die den Verlauf der Handlung maßgeblich beeinflussen.

Den Schreib- und Erzählstil fand ich ungewöhnlich und sehr originell. Manche Sequenzen werden abwechselnd von Paul und Annie erzählt, es wird viel angedeutet, dabei dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis es Gewissheit gibt, und zusätzlich wird mit kapitelweisen Cliffhangern gearbeitet, die einen das Buch kaum aus der Hand legen lassen.

Einzig die Passagen aus Pauls schriftstellerischem Schaffen, Teile der Misery-Romane, haben mir nicht so gut gefallen. Ich denke, dass sie Metaphern für die eigentliche Handlung sind, trotzdem habe ich sie eher als störend empfunden.

Mir hat Kings „Sie“ sehr gut gefallen. Fassungslos habe ich mich über die Seiten getastet, vorsichtig in Richtung Ende bewegt, und mir immer wieder gedacht, dass sie das jetzt nicht getan haben kann. So viel sei verraten, sie kann.

Meiner Meinung nach ist „Sie“ ein Wahnsinns-Roman, für Horror- und Stephen-King-Freunde, und natürlich auch für Leser, die die dunkle Seite des Erfolgs hautnah erleben möchten.