Rezension

Stille Coming-of-Age Geschichte zwischen zwei Kulturen

Im Jahr des Affen - Que Du Luu

Im Jahr des Affen
von Que Du Luu

Bewertet mit 4 Sternen

Da mir weder die Thematik noch die Historie vertraut waren, begann ich den Roman ganz ohne Erwartungen. Der Leser erlebt die Geschichte von Minh Thi, genannt Mini, einem Mädchen chinesischer Herkunft, die seit ihrer frühen Kindheit in Deutschland lebt. Ihr Vater flüchtete mit ihr auf einem Boot aus dem kommunistischen Vietnam – wie so viele andere Ende der 70er Jahre, die sogenannten Boatpeople.

Nun, etwa 13 Jahre später, spart Mini’s Freundin auf einen neuen Walkman und Tom Cruise ist noch cool. Mini lebt das Leben eines ganz normalen deutschen Teenagers – sie hat Freundinnen, geht auf Partys und verliebt sich zum ersten Mal. Für sie ist ihre Herkunft unbekannte und unbedeutende Geschichte. Ihr Vater hingegen ist noch stark verwurzelt mit seiner alten Heimat, für ihn bleibt Deutschland nach wie vor ein fremdes Land.

Von dieser Ungleichheit erzählt Que Lu Duu in ruhigen Tönen und sehr bedächtig. Es dauert, bis die Geschichte an Fahrt gewinnt. Dadurch war es für mich stellenweise etwas zu langatmig. Doch die Erzählweise passt zu den Charakteren – sie fühlen sich wie in einem Vakuum und weiß nicht so recht, wo sie hingehören und welcher der richtige Weg für sie ist.

Es war spannend zu erleben, wie erstaunlich groß die Kluft zwischen den Kulturen ist. Besonders deutlich wird dies mit der Ankunft von Onkel Wu. Er spricht von der Vergangenheit und lebt sehr traditionell. Über ihn kommen immer mehr Zusammenhänge zwischen den Charakteren ans Licht, so dass sich für Mini neue Welten auftun. Sie ermöglichen es ihr, sich selbst und auch das Leben von ihrem Vater in einem ganz neuen Licht zu betrachten. Das galt auch für mich: Je mehr Informationen ich als Leser erhielt, desto besser gefiel mir das Buch. Es ist eine Reise in eine vergangene Zeit und gleichzeitig angesichts der heutigen Flüchtlingssituation höchst aktuell.

Die Erlebnisse von Mini und ihrem Vater beruhen vermutlich zu großen Teilen auf wahren Begebenheiten. Es gibt viele Parallelen zum eigenen Leben der Autorin. Auch die Eltern von Que Lu Duu flohen aus Vietnam, lebten ein Jahr in einem Flüchtlingslager und betrieben – ebenso wie Mini’s Vater – ein Restaurant.

Schreibstil

“Damals” klang so weit entfernt. Damals, noch vor ein paar Tagen – ja, da war ich noch ein Kind. Damals war Schule, Freundinnen und Ausgehen. Jetzt war Restaurant und Krankenhaus. (Seite 137)

Es ist kein bequemes Buch. Weder was die Geschichte angeht, noch den Schreibstil. Nüchtern und wenig emotional wird das Leben von Mini und ihrem Vater geschildert. Als Leser bleibt ständig das nagende Gefühl, es fehle etwas. Eine Empfindung, die durchaus den Gefühlen der Protagonisten entspricht und stets unausgesprochen im Raum hängt. So hat zum Beispiel der Vater außer seinem Restaurant nichts in Deutschland, keine Freunde und keine Familienmitglieder. Noch nicht einmal die deutsche Sprache beherrscht er gut.

Überhaupt nimmt die Sprache einen hohen Stellenwert im Buch ein, das gefiel mir sehr gut. Da haben wir zum Beispiel Mini, die kaum Chinesisch spricht, sowie ihren Vater, der kaum Deutsch spricht. Man erlebt also eine Familie, die auf mehreren Ebenen nicht richtig miteinander kommunizieren kann. Häufig werden über den Vergleich zwischen deutschen und chinesischen Ausdrücken und Wörtern auch grundsätzliche Unterschiede zwischen den Kulturen aufgezeigt. Die Sprache wird also zum Mittel, dass das Anderssein enorm stark – im wahrsten Sinne – in Worte fasst.

Charaktere

Meine Beine waren schwer, ich fühlte mich wie eine alte Oma. Aber ich war froh, festen Boden unter den Füßen zu haben. Vielleicht erinnerte ich mich doch ein klein bisschen daran, wie es gewesen war, auf einem schaukelnden Schiff zu sein.” (Seite 127)

Mit der Protagonisitin Mini hatte ich im ersten Teil des Buches so meine liebe Mühe. Sympathisch war sie mir nicht. Sie wirkte auf mich zu häufig naiv, egoistisch und teilweise regelrecht herzlos gegenüber ihren Freundinnen. Auch gegenüber ihrem Schwarm Bela ist sie unangenehm direkt. Im weiteren Verlauf des Buches konnte ich Mini jedoch besser verstehen, denn so wie sie ist, passt sie zur Geschichte. So und nicht anders darf ihr Charakter sein, um die Geschichte erzählen zu können.

Was mir persönlich etwas fehlte, war die zwischenmenschliche Wärme. Jeder Kontakt ist von einer gewissen Distanz geprägt. Vor allem fällt das zwischen Mini und ihrem Vater auf. Sie gehen zwar freundlich miteinander um, sind sich aber ungeheuer fremd. Doch auch das dient am Ende der Erzählung und erfüllt seinen Zweck.

Fazit

“Im Jahr des Affen” ist ein stilles Buch, das zum Denken anregt. Der Leser erlebt, wie ein Mädchen sich mit seiner Herkunft auseinandersetzt und schlussendlich mit sich selbst ins Reine kommt. Der Schreibstil mag zwar für den einen oder anderen eine Herausforderung sein, doch lässt man sich darauf ein, erfährt man viel von einer äußerst interessanten und bedrückenden Vergangenheit.