Rezension

Stimmgewaltiges Debüt der leisen Töne

Mir ist die Zunge so schwer - Lucia Leidenfrost

Mir ist die Zunge so schwer
von Lucia Leidenfrost

Bewertet mit 5 Sternen

Lucia Leidenfrosts erstes Buch 'Mir ist die Zunge so schwer' ist eine Sammlung von Erinnerungsfragmenten, die sich thematisch mit dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach befassen. Die junge, in Österreich geborene Schriftstellerin schreibt dabei in der Sprache ihrer Figuren, einfach und lebensnah, doch die Gefühle und Stimmungen, die sie mit ihrer schlichter Sprache erzeugt sind überwältigend.

In 18 Geschichten kommen alle zu Wort: Täter, Opfer, Kinder, Mütter, Väter, Söhne, Tote, Lebende und diejenigen, die auf den Tod warten oder ihm gerade so entronnen sind. Sie schildern schlicht ihr Leben, das geprägt ist von Erinnerungen bzw. lassen uns an ihren prägendsten Erinnerungen teilhaben. Das scheint ganz banal. Und doch ist dies das bewegendste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Das in den Erzählungen geschilderte Leben ist uns so nah (vieles kenne ich von Familienmitgliedern) und doch scheint es in einer anderen Welt zu spielen. Was früher schon die Kleinsten erlebt haben, welche Verantwortung sie trugen und mit welchen Konflikten sich die Erwachsenen konfrontiert sahen, das scheint ewig weit weg zu sein, und doch muss man auch heute nur über ein paar (Alters-)Grenzen hinweg schauen, um eben diese Menschen zu sehen.
Was dieses Buch bedeutend macht, ist die Bandbreite der enthaltenen Geschichten. Hier wird nicht ein Aspekt heraus gegriffen und darauf eine spannende, filmreife Geschichte aufgebaut, hier hat man 18 Geschichten, von denen jede einzelne bewegender ist als ein millionenschweres Kriegsdrama im Kino. Weil die Figuren unsere Großeltern bzw. Eltern sein können (bzw. sind). Und weil ihr Leiden ohne große Show geschildert wird, weil es schlicht und einfach ihr Leben war bzw. ist.

Die Sprache von Lucia Leidenfrost ist dabei zwar vordergründig einfach und schlicht, doch voll von tiefgründigen Symbolismen und so lebensnahen Formulierungen, dass sie eine Seite im Herzen anschlagen und dort eine Melodie erklingen lassen. Das Faszinierende dabei ist, dass sie den Leser inspiriert, gleichsam bewegend schreiben zu wollen und ähnlich poetische Formulierungen zu finden, um dem Gelesenen gerecht zu werden. Das habe ich noch nie so erlebt. Es ist die Mischung aus einer zutiefst bewegenden Thematik und dieser anrührenden Sprache, die 'Mir ist die Zunge so schwer' einen ganz besonderen Platz im meinem Herzen gesichert hat.