Rezension

Stimmiger Auftakt

Das Lied der Störche - Ulrike Renk

Das Lied der Störche
von Ulrike Renk

Bewertet mit 5 Sternen

INHALT
Ostpreußen um 1920: Die 11-jährige Frederike von Weidenfels und ihre Stiefgeschwister Fritz und Gerta von Fennhusen ziehen auf den Gutshof ihres Onkels und neuen Stiefvaters Erik. 
Das Leben auf dem Land in der Nähe von Graudenz unterscheidet sich fundamental von dem in der Stadt. Gab es in Potsdam noch in allen Bereichen des Wohnhauses Elektrizität und fließend Wasser, so ist dies im Gutshaus eher Mangelware. Hier steht die Pferdezucht und die Bewirtschaftung der Felder im Vordergrund. Auch eine Schule gibt es nicht, doch dafür einen, in die Jahre gekommenen Hauslehrer.

Anfangs tun sich die Geschwister und vor allem Frederike noch schwer mit dem Hofleben, denn in Berlin pulsiert das Leben. Aber mit der Zeit lernt sie dessen Vorteile zu schätzen und will alles lernen, um eines Tages eine gute Gutsherrin zu werden. Da sie weder Mitgift noch Auskommen besitzt, ist eine wohlhabende Partie erstrebenswert. Der fünfzehn Jahre ältere Ax von Stieglitz hat nicht nur gute Manieren, sondern auch ein großes Gut. Doch ein Geheimnis umgibt ihn...

MEINUNG
Ulrike Renks neuester Wurf - Das Lied der Störche - basiert auf einer wahren Geschichte und überzeugt durch die realistische Abbildung der damaligen Lebensumstände. Die Gutsherren hatten es in den Zwanziger Jahren nicht leicht, da nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland politische Wirren herrschten und es die Menschen immer mehr in die Städte trieb, wo es Automobile, Elektrizität und allerhand kulturelle Amüsements gab.

In der ländlichen Provinz kämpfte man ums tägliche Überleben und arbeitete hart. Protagonistin Frederike muss dies erst noch lernen, doch sie liebt den dort herrschenden familiären Zusammenhalt. Hier kann sie unbeschwerte Tage mit den Geschwistern in der Natur verbringen und muss sich nicht um die neueste Mode kümmern. Auch Hunde, Pferde, Kaninchen etc. wollen versorgt werden.

Renks unverstellter, authentischer Einblick in das damalige Land- und Familienleben macht dieses Buch so lesenswert. Es geht um Rollenbilder, jugendliche Rebellion und Verwirklichung von Lebensträumen. Hierbei steht Frederikes Werdegang im Fokus. Letztere wandelt sich im Laufe der Handlung von der braven Stieftochter zur angesehenen Gutsherrin. Gern setzt sie sich über gängige Konventionen hinweg und handelt nach humanen Gesichtspunkten. Emotional nimmt sie ihre ungewisse Zukunft stark mit. Infolge hadert sich oft mit sich, weiß aber immer die rechten Entscheidungen zu treffen. Frederike sowie die Nebencharaktere (Geschwister, Tanten, Stiefvater, Mutter etc.) wurden passend zueinander ausgewählt, so dass ein wahres Familienidyll geschaffen wird. 

Handlungstechnisch lebt der Roman von dem bunten Familien- und Gutsleben im Hause Fennhusen. Das offene Ende weckt des Lesers Neugier auf den zweiten Band. Man fragt sich: Wie wird es wohl mit Frederike weitergehen? Wie werden die politischen und privaten Ereignisse ihr Leben verändern?

Die Sprache der Autorin ist lebendig und sehr bildhaft. Zudem werden allerhand Redewendungen, Anreden sowie Dialekte der Zeit gewinnbringend mit eingeflochten. Auch bei der Namenswahl zeigt sich Renk sehr geschickt, indem zeitgenössische Namen für ihre Charaktere wählt.

FAZIT
Gelungener Auftakt zu einer neuen Familiensaga, deren Lektüre nicht nur gut unterhält, sondern ganz nebenbei viel Mentalitätsgeschichte vermittelt. Absolut lesenswert!