Stimmungsvolle Rückkehr nach Osten Ard
Als ich vor einigen Jahren die letzten Seiten der Reihe "Das Geheimnis der großen Schwerter" gelesen hatte und den Buchdeckel zufrieden zuklappte, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Tad Williams die Welt von Osten Ard nochmal aufleben lässt und eine Fortsetzung schreibt. Aber er hat es getan! Und nach langer Ankündigung hatte ich nun "Das Herz der verlorenen Dinge" auf dem Lesetisch und konnte erneut in diese großartige Fantasywelt eintauchen.
Dabei macht Tad Williams gleich mal deutlich, dass es keinen lauwarmen Aufguss der bisherigen Bände gibt, sondern dass er uns durchaus etwas Neues bieten möchte. Mit dieser für seine Verhältnisse kurz und temporeich gehaltene Novelle setzt er zwar chronologisch unmittelbar nach Ende der "Nornenkönigin" ein, bietet seinen LeserInnen aber diesmal eine gänzlich neue Perspektive, nämlich die der Nornen selbst.
Isgrimnur und seine Rimmersmänner samt Verstärkung aus dem ganzen Reich vertreten die bereits bekannten Figurengruppierugnen, ergänzt durch etliche Neulinge. Sie verfolgen die Weißfüchse nach ihrer Niederlage bis zum Schicksalsberg, um sie vollends zu vernichten. Tad Williams eröffnet in einem zweiten Handlungsstrang den Blick aus Sicht der Nornen, die auf diese Art und Weise ein eigenes und nicht mal so abstoßendes Profil erhalten - wo sie doch bisher ausschließlich nebulös-böse dargestellt wurden. Diese Abkehr von der Schwarz-Weiß-Malerei der ersten vier Bände ist eine vielversprechende Entwicklung und macht noch zusätzlich Lust auf die kommenden Bücher.
Überhaupt muss man "Das Herz der verlorenen Dinge" als kleinen Appetithappen verstehen; es geht sehr temporeich zu und Tad Williams verliert sich nicht in den opulenten, ausufernden Beschreibungen, für die er bekannt ist. Man könnte der Geschichte eine gewisse Oberflächlichkeit vorhalten, muss aber den Kontext sehen; hier soll wirklich nur der Anschluss geschaffen und der neue Blickwinkel eröffnet werden. Mit diesem Wissen kam ich auch gut zurecht mit der Lektüre, hoffe aber schon auf eine größere Ausführlichkeit in den Folgebänden.
Die Figuren sind jedenfalls alle sehr gelungen; mit Porto haben wir ein neues Gesicht auf Seiten der Rimmersmänner, das sicherlich noch eine wichtige Rolle spielen wird. Und mit der charismatischen Generalin Suno'ku, dem weisen Baumeister Yaarike und dem "Mondkalb" Vijeky sind auch bei den Nornen Figuren im Spiel, mit denen man mitfiebern kann. Die schlachtenlastige Handlung ist geprägt von Kriegslisten und Intrigen, von Belagerungen und Heldentaten, gewürzt mit einer guten Portion Horror.
Ich war sehr zufrieden mit diesem Wiedereinstieg in die Welt von Osten Ard und freue mich schon sehr, wenn es demnächst weiter geht mit "Die Hexenholzkrone", das in der deutschen Fassung in zwei Bänden erscheint. Bestes Lesefutter für hungrige Fantasy-Fans, ich bin auf jeden Fall dabei.