Rezension

Teilweise toll geschrieben, aber leider meist nicht unheimlich und dafür reichlich unlogisch

Unheimliche Geschichten Band 1 - Edgar Allan Poe

Unheimliche Geschichten Band 1
von Edgar Allan Poe

Bewertet mit 2 Sternen

Hinweis: Meine Rezension bezieht sich nicht auf diese Ausgabe, sondern auf den Sammelband "Unheimliche Geschichten" aus dem Anaconda-Verlag (ISBN: 978-3-86647-721-6), den ich auf Wasliestdu leider nicht finden konnte.
 

Inhalt

Eine Sammlung mehrerer kürzerer und einer recht langen (unvollendeten) Erzählung Edgar Allan Poes.

Meinung

Von Poe hatte ich bisher als dem Meister der schaurigen Kurzgeschichten gehört und freute mich daher auf eine kurzweilige und unheimliche Halloween-Lektüre. Leider war diese Sammlung für mich eine absolute Enttäuschung.

Man kann Poe ein gewisses Talent natürlich nicht absprechen. Zwar muss man sich zunächst an einige Eigenarten seines Schreibstils gewöhnen (z.B. die Ich-Perspektive und die Tatsache, dass er die Texte stets so gestaltet, als habe sein Erzähler sie tatsächlich erlebt, weshalb er z.B. Jahreszahlen und Namen oft nur abgekürzt nennt und immer wieder den Wahrheitsgehalt des Wiedergegebenen betont), doch er beherrscht definitiv auch die Kunst des Spannungsaufbaus durch seinen düsteren, atmosphärischen und wahrlich unheimlichen Schreibstil. Er schreibt recht bildgewaltig und arbeitet mit vielen Beschreibungen, die den Leser gut zu fesseln und in die Atmosphäre hineinzuversetzen vermögen.

Nur gehört zu dem Aufbauen von Spannung eben auch, sie gekonnt wieder aufzulösen, was Poe meiner Meinung nach jedoch kaum gelingt.
Einige Geschichten ("Unterhaltung mit einer Mumie", "Morella", "Das Geheimnis um Marie Rogêt"") weisen schlicht keinen Spannungsbogen auf; andere ("Die Tatsachen im Fall Valdemar", "Lebendig begraben", "Eine Flaschenpost") enden viel zu abrupt und ohne das Geschehen genauer zu erklären. In wieder anderen ("Das verräterische Herz", "Der schwarze Kater") kommt es zwar zu einem gut gestalteten Höhepunkt des Konfliktes, jedoch wird das Verhalten der Figuren überhaupt nicht oder nur durch diffuse Ahnungen und instinktive Gefühle erklärt, was mir persönlich nicht gereicht hat, um die Handlung überzeugend zu finden.
Am schlimmsten sind aber diejenigen Texte, die enden, bevor überhaupt irgendwas aufgeklärt werden kann ("Das Geheimnis um Marie Rogêt", "Die Erzählung des Arthur Gordon Pym").
In der Erzählung um Marie Rogêt, die einen damals aktuellen Mordfall auffällig gleicht (wobei diese Ähnlichkeit zwar erwähnt, aber weder vom Autor noch im Nachwort erklärt wird), referiert ein Bekannter des Erzählers beispielsweise seitenlang über seine Theorie zu dem Fall, woraufhin der Text mit der Anmerkung endet, den Rest der Geschichte könne sich der Leser ja sicherlich denken, ohne dass aufgeklärt würde, ob all die schönen Theorien stimmen.

Den größten Teil des Buches nimmt "Die Erzählung des Arthur Gordon Pym" ein, die über 200 Seiten umfasst. Auch diese ist wieder aufgemacht, als handele es sich um ein reales Erlebnis, das von Poe und später Pym niedergeschrieben wurde.
Pym gerät darin in Seenot und erlebt das ein oder andere Abenteuer, doch leider vermag die Erzählung kein bisschen Spannung aufzubauen, da Poe von Zeitraffung offenbar noch nie etwas gehört hat. Seitenlang muss der Leser die Beschreibungen von Hunger, Durst und immer wiederkehrenden Stürmen über sich ergehen lassen, was anfangs noch interessant, irgendwann aber eher nervig ist, weil sich stets die gleichen Situationen wiederholen und ja ohnehin klar ist, dass Pym überlebt hat.
Zudem schweift der Erzähler andauernd vom Thema ab und referiert Absätze lang über das Nistverhalten von Pinguinen und Albatrossen oder von der richtigen Ladung im Stauraum eines Schiffs.
Besonders ironisch ist die Aussage des Erzählers, er wende sich mit dieser Geschichte an Leser, die noch nie zur See gefahren sind. Vielleicht war das damals Allgemeinbildung, aber ich zumindest habe von den vielen Fachbegriffen rund um Segelschiffe kaum einen verstanden und Beschreibungen von Zerstörungen durch Stürme wirken leider nicht halb so beeindruckend, wenn man keine Ahnung hat, was genau jetzt eigentlich zerstört wurde.
Die Länge der Erzählung trägt auch keinesfalls dazu bei, dass irgendeine Figur ausführlicher charakterisiert und so irgendwelche Emotionen im Leser hervorzurufen würde.
Auch diese Erzählung endet leider mitten in der Geschichte und nur die Tatsache, dass Pym sie selbst erzählt, sagt dem Leser, dass er seine Abenteuer überlebt hat.
Für mich zumindest wurde diese lange Erzählung, in der trotzdem viel zu wenig passiert, mit der Zeit zur Qual.

Fazit

Edgar Allan Poe schreibt teilweise wirklich fantastisch düster und beweist das Talent, unheimliche Atmosphären für seine Geschichten zu kreieren. Leider werden viele seiner Erzählungen, so sie denn überhaupt einen Spannungsbogen aufweisen, nicht konsequent zu Ende geführt und das Verhalten der Figuren bleibt oft unverständlich.
Die letzte Erzählung, die beinahe die Hälfte dieses Buches einnimmt, ist extrem langatmig und dann auch noch unvollendet, weshalb das Ende des Buches eher Qual als Lesevergnügen ist.
Ich vergebe 2 Sterne.