Rezension

Textverliebter Fabrikarbeiter sucht kachelzählende Putzfrau

Die Sehnsucht des Vorlesers
von Jean-Paul Didierlaurent

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch habe ich in einer Buchhandlung entdeckt und aufgrund Optik, Titel und Beschreibung auf meine Merkliste gesetzt. Später las ich auf Blogs und in Foren davon und als es im Dezember in einem Adventskalender erschien und ich es nicht gewann ;-), beschloss ich mir das Buch zu kaufen. 

Der liebevoll geschriebene Roman handelt von einfachen Personen mit ebenso einfachen, aber für Protagonisten eher ungewöhnlichen Berufen.  

Guylain arbeitet in einer Papierverwertungsfabrik. Gibt man diesen Begriff bei Google ein, erscheinen lauter Verweise zu diesem Buch. Bei uns in der Schweiz würde man da wohl Altpapier-Recyclingsfirma dazu sagen. Am Ende seines Arbeitstages steigt Guylain in die Schreddermaschine und putzt sie von innen. Dabei "stiehlt" er jeweils einige ganz gebliebene Papierblätter, die er in der Maschine findet. Er trocknet sie über Nacht; morgens auf dem Weg zur Arbeit liest er den Text im Regionalzug laut vor. Die Pendler im Zug freuen sich über die morgendliche Abwechslung. 
Im Eingangsbereich der Fabrik kommt er an Pförtner Yvon vorbei, der Guylain jeweils mit einem Vierzeiler begrüsst. Ihr Chef ist ein Despot und so freut Guylain sich auf die Wochenenden, an denen er seinen im Rollstuhl sitzenden Freund Guiseppe besucht. Guiseppe hat ein spezielles Hobby: er sammelt von einem bestimmten Buch alle Ausgaben und Guylain hilft im dabei. Als Guylain eines Morgens im Zug einen USB-Stick findet, revanchiert Guiseppe sich bei ihm und hilft den Eigentümer zu finden. Es stellt sich heraus, dass der Stick einer Frau gehört. Vorerst wissen sie nur, dass sie Julie heisst, als WC-Putzfrau arbeitet und Kacheln zählt. Guylain ist fasziniert von ihren Zeilen und möchte ihr den Stick unbedingt zurückgeben. Auch die Bewohner vom Altersheim, in dem Guylain Samstags neuerdings vorliest, rätseln fleissig mit. Julies Dateitexte vom USB-Stick bringen Leben ins gewaltig eintönige Leben von Guylain. 

Bald darauf ist das 224-seitige Buch auch schon fertig. Der Grund für Guiseppes Sammelwut fand ich amüsant und kreativ, die Goldfischgeschichte eher traurig, die Suche nach Julie war am spannendsten, obwohl sie eigentlich aktionsarm ist.

Ich erwartete ein kleines, feines Juwel. Die Geschichte fand ich zwar herzig und sie ist auch anders als "üblich". Sie ist ganz leise humorvoll, aber weder melancholisch noch emotional und wirkt dadurch doch etwas oberflächlich. Vielleicht weil praktisch alle Charaktere etwas kurlig und gefühlsarm sind. Sie mögen ihre Berufe nicht sonderlich und haben eintönige Leben. Jeden Tag, jedes Wochenende derselbe Ablauf. Diese Oberflächlichkeit wundert deshalb nicht, denn wer alles mit sich geschehen lässt und nichts ändern mag, zeigt auch sonst nicht viel Gefühl. Der Autor schreibt seine Geschichte also glaubhaft. Dennoch habe durch die Online-Begeisterungsstürme "mehr" erwartet. 

Das Printbuch ist sehr schön gestaltet, die vorgelesenen Blätter werden in einer andern Schrift hervorgehoben. 
Leider klappt das auf dem eBook (Tolino) nicht wirklich. Es störte mich extrem, dass auf einer ganze Seite einfach nur ein grauer Rahmen ohne Text und auf der nächsten Seite nur etwa 5 Zeilen im grauen Rahmen stehen. Oder ein bisschen Text, dann nur noch leerer Rahmen und auf der nächsten Seite zuerst leerer Rahmen, dann wenig Text. Beim Lesen hatte ich deswegen das Gefühl, nicht alles lesen zu können. 
Erst auf ADE konnte ich erkennen, dass dieser leere Teil ganz blass bedruckt ist und auf der nächsten Seite normal gedruckt wiederholt wird. Absolut nicht lesefreundlich gestaltet und deshalb empfehle ich bei diesem Roman das Printbuch zu kaufen. Das Auge isst, bzw. liest nunmal mit! 

Fazit:
Sympathische Charaktere in einer einfachen, aber doch gerade deshalb besonderen Geschichte. 4 Punkte.