Rezension

The Ministry of Utmost Language

The Ministry of Utmost Happiness - Arundhati Roy

The Ministry of Utmost Happiness
von Arundhati Roy

Bewertet mit 4 Sternen

Dicht gewobener Roman mit vielen politischen und soziokulturellen Abschweifungen. Sprachlich extrem komplex, aber durch Poesie und bitteren Sarkasmus trotzdem ein Lesevergnügen.

Nach ‚The God of Small Things’ und einer 20-jährigen Pause auf dem Feld der Belletristik ist ‚The Ministry of Utmost Happiness’ der zweite Roman von Booker-Preisträgerin Arundhati Roy. Und sie hat wirklich alles hineingegeben, was ging.
 
In ihrer ‚Schreibpause’ hat die Aktivistin Roy Sachtexte verfasst und viele Leser haben, zu Recht, den Eindruck geäußert, dass ihr neuestes Werk auch gut ein Sachbuch hätte werden können. Der Leser wird, gerade im Mittelteil des Buches, förmlich erschlagen mit politischen Konflikten und Machtspielen, mit Gesellschaftskritik und Einzelschicksalen, die teilweise in nur sehr losem Kontakt zur Handlung zu stehen scheinen. Die Frage stellt sich, gibt es überhaupt eine übergeordnete Handlung? Auf den ersten Blick ja, da ist Anjum, eine Frau im Männerkörper, die sich nach dem Überleben eines traumatischen Massakers auf einem Friedhof eine zweite Existenz aufbaut und Tilo, eine Frau, die durch ihre Beziehungen zu drei unterschiedlichen Männern nah dran ist an den politischen Ereignissen, die aber trotzdem nicht wirklich eingreifen kann. Zum Schluss finden beide Frauen zueinander und kümmern sich gemeinsam um ein Findelkind, das offenbar Grund zur Hoffnung gibt. Nach dem Lesen des Buches ist ‚die Story’ in meinen Augen aber zweitrangig. Jede Lebens(abschnitts)geschichte, die Einzug in das Buch gehalten hat, bietet auch Stoff genug für ein eigenes Buch. Daher geht es Roy wohl nicht um das spannende Erzählen von Einzelschicksalen, sondern um das Schaffen eines Gesamtbildes einer zutiefst kaputten Gesellschaft. Der Buchrücken lässt auch ganz klar darauf schließen:
 
'How to tell a shattered story? By slowly becoming everybody. No. By slowly becoming everything.’

 Und obwohl das Buch viel an indischer Geschichte vorauszusetzen und durch das standardmäßige Einbauen von Hindu-Wörtern eine zusätzliche sprachliche Barriere zu schaffen scheint, kam mir der Text niemals fremd vor. Ähnliche Entwicklungen, Zustände und Szenen kennt man auch aus der europäischen oder amerikanischen Geschichte oder aus den aktuellen Tagesnachrichten. Die ironischen Nebensätze, die gewisse Situationen kommentieren, bewerten und einordnen, sind die Gedanken, die sich der Leser mit Hang zum Galgenhumor auch selber machen könnte, erleichtern den Lesefluss aber trotzdem dankbarer Weise ein wenig. Poetische Zusammenfassungen und Abstraktionen zeigen immer wieder Arundhati Roys Können.

‚As always, history would be a revelation of the future as much as it was a study of the past.’

 Ich bin mir sicher, das Buch kann ein Klassiker werden, da es unverhohlen Missstände darlegt und auf Hoffnung plädiert. Wie Bücher über die Sklaverei oder totalitäre Systeme, könnte es sicher sogar Schulstoff werden. Schließlich ist es auch eine schiere Fundgrube an stilistischen Besonderheiten. Allerdings wäre ‚The Ministry of Utmost Happiness’ prägnanter und damit vielleicht auch greifbarer geworden, wenn Roy etwas ‚bescheidener’ konstruiert hätte und nicht gar zu viele Charaktere, Erzählstränge, Abschweifungen, Textgattungen und Hintergründe zusammengebracht hätte bzw. sich teilweise schlicht kürzer gefasst hätte. Daher 4 von 5 Sternen von einer durchaus gewillten Leserin, die jedoch eher unterhalten statt unterrichtet werden möchte.