Rezension

"Todos Muertos"

Sunblind - Michael McBride

Sunblind
von Michael McBride

Bewertet mit 5 Sternen

Sonora-Wüste, Arizona:
Christian Rivera, Agent des Veganza Grenzschutzes, ist Spurenleser und sein Job ist es illegale Einwanderer in den Grenzlanden aufzuspüren – tot oder lebendig. Er stößt auf eine schwerverletzte junge Frau, die stark dehydriert ist und zahlreiche Verletzungen aufweist. Besonders schockierend und beängstigend sind drei Wörter, die sie sich offenbar selbst in die Brust geritzt hat: "TODOS MUERTOS CÁMARA" (Alle tot Kamera). Verstörende Hinweise, denen er nachgehen will. Und so folgen er und zwei weitere Agenten den Spuren der Frau, in der Hoffnung aufzuklären, was ihr und den anderen Menschen, die anscheinend bei ihr waren, widerfahren ist. Was sie finden, ist mehr als beunruhigend – der Tod lauert überall und es ist nicht die unwirtliche Wüstenlandschaft, die sie am meisten fürchten müssen ...

Leseeindruck

"Sunblind" erschien im Original unter gleichnamigen Titel bereits 2014 und ich bin froh, dass dieses Buch über den Voodoo Press Verlag den Weg ins Deutsche gefunden hat, denn Michael McBride hat mich mit dieser Story auf ganzer Linie überzeugt.

Das Thema der illegalen Migration ist nicht nur interessant, sondern auch brisant und stets aktuell. Der Autor lässt Fakten einfließen und beleuchtet Hintergründe, nimmt aber keine direkte Position ein, (ver-)urteilt nicht, vielmehr regt er zum Nachdenken an. Die Einzelschicksale der Menschen in dieser Geschichte sind exemplarisch und berührten mich sehr. Der Leser fährt Achterbahn und das ist es, was eine Geschichte besonders auszeichnet: Wenn sie die Grenzen der Fiktion hier und da niederreißt und an der Realität kratzt.

Der Autor nutzt zwei Perspektiven und Zeitebenen, um seine Geschichte äußerst spannend zu erzählen. Die eine Perspektive ist die Riveras, sie ist indirekt und in der Gegenwart angesiedelt. Er deutet die Spuren, denen er nachgeht und rekonstruiert so Mayras Todesmarsch durch die Wüste. Parallel dazu begleiten wir in der Vergangenheit Mayra Itzel Argueta Visari, die junge Frau, die Rivera zu Anfang findet. Die direkte Ich-Perspektive erlaubt eine starke Nähe zur Protagonistin. Während sich Rivera also quasi rückwärts bewegt, läuft Mayra in der Zeitlinie voran und die beiden Handlungsstränge bewegen sich aufeinander zu, um letztlich miteinander verknüpft zu werden. Diese Art des Erzählens hält die Spannung unglaublich hoch und lässt einen das Buch nur schwer aus der Hand legen.

Mayras Parts sind intensiver, was nicht allein der Ich-Perspektive geschuldet ist, sondern auch den detaillierten Schilderungen ihres Überlebenskampfes. Schonungslos, fesselnd und brutal erleben wir die Tortur des Marsches durch die unerbittliche, sengende Wüste Arizonas mit. Schlangenbisse, Verbrennungen, Hunger und Durst, Verletzungen und Tod – die Beschreibungen sind eingehend und beklemmend. Ein stetes Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Stärke und Schwäche, Mut und Angst. Der unbändige Überlebenswille Mayras prägt ihr Denken und Handeln und macht sie so zu einer starken und sympathischen Persönlichkeit. Man erfährt nach und nach, warum sie den Entschluss fasste, ihre Heimat zu verlassen und was sie antreibt.

"Ich würde überleben, wenn auch nur aus dem einen Grund, dass so viele dazu nicht in der Lage gewesen waren."

Auch die Gruppe, mit der sie unterwegs ist, wird näher beleuchtet. Zunächst sind sie alle anonym, für Mayra wie auch für den Leser. Die Personen sind reduziert auf kennzeichnende Merkmale ("Der Mann mit dem Fischerhut"), sie haben keine Namen. Erst nach und nach bekommen einige von ihnen Individualität und damit eine Persönlichkeit. Es lässt einen nachdenklich zurück, dass dies oft erst im Moment ihres Todes geschieht ...
Der CBP Agent Rivera ist sympathisch, weil er nicht nur seinen Job macht, sondern darüber hinaus seine Aufgabe ernst nimmt und sich der Verantwortung seines Tuns bewusst ist. So ist er bereit Risiken einzugehen und sich über Vorschriften und Anweisungen hinwegzusetzen. Auch wenn man als Leser dieser Figur nicht so nah kommt wie Mayra, so schließt man sie schnell ins Herz.
Und dann gibt es da noch einen Charakter, den ich persönlich sehr mochte, weil er von Anfang an tragisch ist, wie ich finde. Wen ich meine und warum, möchte ich im Dunkeln lassen. Wer das Buch gelesen hat, wird es wissen.

Was genau erwartet den Leser bei der Lektüre? Ist es ein Thriller? Ja definitiv, denn Nervenkitzel ist garantiert. Es ist ein Roman, der einen von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, extrem spannend und intensiv ist. Neben dem "thrill" punktet die Geschichte aber auch mit tollen Mystery- und Horrorelementen. McBride lässt dabei der Fantasie des Lesers sehr viel Raum, er gibt nie zu viel preis und lässt Platz für Spekulationen, arbeitet mit Geräuschen und Gerüchen, vielen Andeutungen, um dann stellenweise brutal und direkt zuzuschlagen. So gibt es Szenen, die für Zartbesaitete sicher eine Herausforderung sein dürften. Ein toller und eingehender Schreibstil, sehr bildhaft und auf den Punkt, komplettiert das Ganze. Ich hatte bei der Lektüre stets klare Bilder im Kopf – dieses Buch auf der Kinoleinwand könnte ich mir sehr gut vorstellen.

"Altar, Sonora, war eine Stadt des Bösen, ein Ort, den Träume zum Sterben aufsuchten und an dem sie in anonymen Gräbern in der Wüste begraben wurden."

"Ich sah zu, wie die Sonne die Wüste zum Bluten brachte, als sie den Horizont durchbrach."

"Ich war von Tieren umgeben. Nicht von Menschen. Nicht von Männern. Beastia. Kreaturen ohne Mitgefühl, die so wenig vom Leben hielten – sogar von ihrem eigenen –, dass sie den Tod überall mit sich herumtrugen, wohin sie auch gingen."

"Wir alle wussten, dass La Santa Muerte ihre Hand hielt, und niemand von uns wollte sie einladen, als Nächstes neben uns zu laufen."

Fazit

"Sunblind" ist ein Buch, bei dem man nägelkauend am Rand des Sessels sitzt und gebannt eine Seite nach der anderen verschlingt. Man schwitzt, weil die Wüstensonne so intensiv brennt, vergeht vor Durst nach Wasser und fröstelt, wenn sich einem die Nackenhaare aufstellen, weil man ein vermeintliches Klickgeräusch zu hören glaubt. Kurzum: Spannung, Thrill und Gruselmomente par excellence, eingebettet in einer aufwühlenden Story mit tollen Charakteren und einem eingehenden Schreibstil. Eines meiner Highlights dieses Jahr.