Rezension

Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum...

Romeo und Romy - Andreas Izquierdo

Romeo und Romy
von Andreas Izquierdo

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es gibt Situationen im Leben, da steht man plötzlich vor einem großen Scherbenhaufen - und alles was man sich erträumt hat, scheint unwiderruflich vorbei. So geht es jedenfalls auch der jungen Romy, die davon geträumt hatte, als große Schauspielerin berühmt zu werden. Immerhin hat es beim Theater zum Posten der Souffleuse gereicht - doch selbst diese Stellung ist sie los, nachdem sie auf harmlose Weise mit Ben, dem Hauptdarsteller des Theaterstücks, geflirtet hat. Und als ob das nicht genügte, erreicht Romy auch noch die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter.

Also fährt sie mit ihren paar Habseligkeiten zurück in ihr kleines Heimatdorf an der tschechischen Grenze, um die Beerdigung sowie die Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. In die Trauer um ihre Großmutter mischt sich die Wiedersehensfreude mit den Dorfbewohnern - alles alte Menschen, denn die jungen sind längst fortgezogen. Doch rasch stellt Romy fest, dass die Alten keine Lebensfreude mehr zu haben scheinen. Ganz im Gegenteil: sie scheinen es geradezu darauf anzulegen, baldmöglichst das Zeitliche zu segnen. Weshalb, begreift Romy erst, als sie versteht, warum einige der Dorfbewohner auf ihre verstorbene Großmutter auch ein wenig sauer sind. Diese hat so schließlich einen der allerletzten Plätze auf dem heimischen Friedhof belegt - erweitern lässt sich der beim besten Willen nicht mehr, und nur noch die nächsten zwei Verstorbenen werden dort ihre letzte Ruhestätte finden können, alle anderen müssen auf den Friedhof im Nachbardorf. Und das will eben niemand.

Romy beginnt den Wettlauf um den Tod bald zu fürchten, und so reift in ihr allmählich ein Plan, um den Alten die Lebensfreude wiederzubringen - und sich selbst ganz nebenbei genauso. Die alte, halb verfallene Scheune auf dem Hof der verstorbenen  Großmutter soll nicht länger ein trauriges Dasein fristen. Romy will sie gemeinsam mit den Dorfbewohnern umbauen zu einem elisabethanischen Theater - und dann soll dort ein Stück gespielt werden, das besser nicht passen könnte: Romeo und Julia...

Und wie wäre das Stück wohl weitergegangen, wenn den beiden die Flucht vor ihren Familien gelungen wäre? Hätten sie glücklich in einem kleinen Dorf irgendwo in Venetien gewohnt? Hätte Julia den Haushalt besorgt, obwohl sie als höhere Tochter weder kochen konnte noch je einen Fußboden gewischt hatte? Und wäre er morgens zur Arbeit gegangen, obwohl er als verwöhntes Bürschchen aus reichem Haus nicht mal theoretisch wusste, wie man einen Hammer hielt? (...) Was wäre, wenn das Liebespaar nicht drei Tage, sondern dreißig Jahre miteinander verbracht hätte? Hatte Shakespeare der Welt verschwiegen, dass Selbstmord weit weniger Mut erfordert als ein Leben zu zweit zu führen? (S.276/277)

Reichlich blauäugig begibt sich das Dorf an den Umbau der Scheune, und erwartungsgemäß kommt es dabei immer wieder zu Problemen - in der Anhäufung für meinen Geschmack etwas zu reichlich, aber der Wille, diesen Traum zu verwirklichen, ist bewundernswert. Erstaunliche Themen kommen durch die gemeinsame Aufgabe zutage, reichlich Überraschungen inbegriffen, aber eines ist gewiss: Todessehnsucht verspürt da bald niemand mehr. Dennoch ist es ein Wechselbad der Gefühle, das uns Andreas Izquierdo hier präsentiert, eine wechselvolle Mischung aus skurrilen, absurden, witzigen, makabren, warmherzigen, bedrückenden und traurigen Szenen. Während in der ersten Hälfte eher eine humorvolle Leichtigkeit dominiert, schlägt das ganze in der zweiten Hälfte durch die Wahl der zahlreichen Themen phasenweise sehr ins Ernste um.

Sie legte auf und hatte das erste Mal ernste Sorgen, dass das Projekt einfach viel zu groß für sie alle war. Und dass große Träume nur Menschen mit großen Möglichkeiten vorbehalten waren. Und dass kleine Leute besser klein träumen sollten. Oder gar nicht. (S. 132)

Eine Vielzahl an interessanten und oft recht schrägen Charakteren begegnet dem Leser hier in dem Roman, und vielen davon kommt im Verlaufe der Geschichte eine wichtige Rolle zu. Durch diese Vielzahl bleibt die Tiefe des Geschehens in meinen Augen manchmal ein wenig auf der Strecke, jedoch wird die bunte Mischung der Dorfbewohner so sehr bildhaft vor Augen geführt.

Auch wenn ich anfangs etwas Mühe hatte, in die Geschichte einzutauchen, empfand ich die Lektüre auch dank des flüssigen Schreibstils sowie der immer wieder eingestreuten Situationskomik insgesamt als sehr angenehm. Eine Erzählung um Träume und das Leben, um Liebe und Heimat und darum, dass letztlich jeder das Heft seines Lebens selbst in die Hand nehmen kann.

Ein Buch für jung und alt - denn frischen Lebensmut kann schließlich jeder gebrauchen.

© PardenTräume nicht dein Leben, lebe deinen Traum...