Rezension

Tragisch, mitreißende Erzählung, die einen aufwühlt

Lucy fliegt - Petra Piuk

Lucy fliegt
von Petra Piuk

Bewertet mit 5 Sternen

Lucy lebt in ihrer eigenen Welt und ist in dieser gefangen. Denn Lucy ist eigentlich Linda und 23 Jahre alt und nicht, wie sie seit Jahren behauptet, 18 Jahre. Eine abgeschlossene Ausbildung hat sie nicht: warum denn auch? Immerhin ist sie ein geborener Star! Der Oscar ist schon zum Greifen nah. Sie muss halt nur noch entdeckt werden. Aber das ist bekanntlich schwer, wenn die anderen vor Neid auf das eigene Talent verblassen und einem nur deswegen ungerechterweise keine Chance geben. Aber so einfach will Linda - äh - Lucy natürlich nicht aufgeben.

Das Buch hat mich sehr stark an "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun erinnert. Auch mit den Elementen aus der Epoche der Neuen Sachlichkeit hat dieses Buch einiges gemein, was mir persönlich sehr gefallen hat. Die Sprache ist hier auch sehr einfach gehalten und erinnert sehr stark an Unterschied. Oft treten Ellipsen auf, bei denen vor allem die Verben weggelassen werden. Gerade das war am Anfang ein wenig seltsam: die Sätze ergaben weiterhin Sinn, aber dennoch fiel einem immer auf, dass die Sprache nicht ganz stimmig ist. Das gibt sich aber mit der Zeit, weil man sich auch immer mehr an Lucys Gedankenströme gewöhnt. Gerade dadurch brechen Sätze oft sinnlos ab und sind nicht unbedingt logisch strukturiert. Die Sprache ist halt sehr "realitätsnah" und nicht dafür da, um Eindruck zu hinterlassen.

In ihrer eigenen Welt ist sie definitiv gefangen. Immer wieder hätte ich Lucy am liebsten schütteln wollen, damit sie aufwacht. Hin und wieder wollte ich sie auch einfach in den Arm nehmen, weil sie mir so leid tat. Das hat mich selbst überrascht, weil die Protagonistin keine sympathische Figur ist und selbst Schuld an ihrem Unglück trägt, in das sie sich immer wieder selbst hineinmanövriert. Eigene Fehler kann sie sich gar nicht eingestehen und so baut sie sich immer mehr ihr eigenes Lügengerüst auf, das sie selbst glaubt. Sie ist hoffnungslos allein und verloren.

Und genau das ist hier der Unterschied zwischen Leser und Lucy: der Leser wird andauernd desillusioniert und sieht, wie hoffnungslos ihre Versuche sind, während sie in ihrem Realitätsverlust förmlich aufgeht und denkt, auf diese Art und Weise ihr Glück zu finden. Dass sie sich damit immer mehr kaputt macht, merkt sie selbst nicht.

Auf Lucys Persönlichkeit möchte ich gar nicht so genau eingehen, um nicht zu viel vorwegzunehmen, aber das Problem ist, dass sie sich so sehr nach Aufmerksamkeit sehnt, weil sie nie welche bekommen hat und ihr schon in frühster Kindheit ausgeredet wurde, dass ihre Wahrnehmung der Realität entspricht. Dementsprechend hat sie jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren und treibt einsam und allein in einer Seifenblase durch ihre Traumwelt. Einsicht gibt es bei ihr nicht.

Die Geschichte ist sehr bewegend, da sie auch durch Rückblenden lebt, und man so auch bemerkt, was alles in ihrem Leben schief gelaufen ist. Immer wieder denkt man: eigentlich hätte sie daraus doch was lernen müssen! Dem ist aber leider nie so.

Das Ende empfand ich als sehr stimmig und passend. Ich hätte mir kein besseres vorstellen können und habe mir schon gedacht, dass es so enden würde. Insgesamt ist die Geschichte sehr realistisch, da es leider viele dieser gescheiterten Persönlichkeiten gibt. Nicht umsonst gibt es immer so viele Anwärter für sämtliche Castingshows. Gerade das hat mich auch noch zum Nachdenken angeregt. Dieses Buch wird mich wohl noch länger beschäftigen...