Rezension

Trendthema Wandertour in der Jugendversion - charmant, aber teilweise zu belehrend

The Distance from me to you - Marina Gessner

The Distance from me to you
von Marina Gessner

Bewertet mit 3 Sternen

Die 17jährige Kendra ist ein echter Sturkopf: Als ihre beste Freundin Courtney kurz vor dem lange geplanten Wandertrip auf dem Appalachian Trail abspringt, beschließt sie, sich alleine auf den Weg zu machen und ihren Eltern zu verheimlichen, dass sie ohne Begleitung unterwegs ist. Hoch motiviert beginnt Kendra ihre Mammuttour - 3.500 Kilometer durch mehrere amerikanische Bundesstaaten, die keineswegs immer so verlaufen, wie Kendra sich das vorgestellt hat. Vor allem mit Sam hat sie nicht gerechnet - der gutaussehende Junge, der immer wieder ihren Weg kreuzt und der sie mit seiner undurchdringlichen Art fasziniert und verunsichert.

Das Buch musste ich (Wanderratte mit Campingfaible und Vorliebe für Jugendbücher) einfach lesen. Frische Luft, Berge, Wälder, Zeltplätze und Wanderbekanntschaften. Autorin Marina Gessner hat eine gute Portion Realität und viel tolles Wanderfeeling in ihre frei erfundene Geschichte gepackt und zwei Protagonisten losgeschickt, die sofort meine Sympathie hatten. Kendra, die dickköpfige Akademikertochter, die sich selbst und allen anderen beweisen will, was in ihr steckt und Sam, der nicht ganz freiwillig unterwegs ist, weil seine Familiensituation mehr als schwierig ist.

Der einfache Erzählstil lässt schnell in die Ereignisse finden und ist für die Zielgruppe sicher genau passend. Kendra und Sam sind gleichermaßen eigensinnig und voller kleinerer und größerer innerer Unsicherheiten. Man begleitet die beiden gerne und ich finde, die Autorin hat sich eine sehr natürlich wirkende Lovestory mit jugendlichen Kribbelszenen aber auch ernsten, nachdenklichen Momenten ausgedacht. Frisch, unverbraucht und irgendwie sympathisch ungeschliffen.

Eine detaillierte Beschreibung der Wanderroute liefert die Autorin nicht - wer sich ausführliche Informationen zum Verlauf dieser speziellen Wegstrecke erhofft, der sollte seine Erwartungen also herunterschrauben. Das Buch ist nun einmal nicht autobiografisch und insbesondere in den ersten Kapiteln werden viele Erlebnisse nur kurz zusammengefasst. Da ist Kendra gerade erst losgewandert, schwupps, macht sie auch schon wieder Rast, berichtet von Mückenstichen und Muskelkater und ruckzuck sind einige Wochen vergangen und die Hälfte des Weges ist geschafft. Die Zielgruppe wird aber wohl nicht allzu traurig sein, dass nicht übermäßig in Wald- und Wiesenflair geschwelgt wird. Lust, sofort aufzubrechen und den Alltag samt Medienwelt hinter sich zu lassen, bekommt man, wie ich finde, trotzdem.

Das Verhalten der Charaktere weist allerdings einige logische Diskrepanzen auf und genau hier setzt auch meine Kritik an. Ich hatte den Eindruck, die Figuren MÜSSEN sich teilweise unvernünftig verhalten, damit anhand ihrer Reaktionen eventuelle Krisensituationen aufgezeigt werden können. Ich vermute, die Autorin möchte junge Leute vor den Gefahren einer langen Wandertour warnen, dabei sind aber bisweilen die Pferde mit ihr durchgegangen, denn es werden einfach zuviele unglückliche Begebenheiten in die Geschichte gepackt. So wunderte ich mich schon auf den ersten Seiten, dass Kendra derart sorglos ihre Reise beginnt. Mir nichts, dir nichts macht sie sich alleine auf den Weg und täuscht bewusst ihre Familie, obwohl sie vernünftige Eltern zu haben scheint und man gemeinsam sicher eine gute Lösung gefunden hätte. Obwohl sie insgesamt ein wirklich patentes Mädchen ist, tauchten ähnliche Widersprüche immer wieder auf, was ich schade fand, weil der Weg von Kendra und Sam für mich persönlich auch ohne die Extraportion Zündstoff genug Potenzial für einen fesselnden Lauf der Dinge gehabt hätte und die logischen Brüche die Greifbarkeit der Charaktere für mich in immer weitere Ferne rücken ließ.

Vor allem der Aufruhr in der zweiten Hälfte war mir persönlich zuviel des Guten (SPOILER-WARNUNG). Eine Katastrophe nach der anderen regnet plötzlich über das frisch verliebte Pärchen herab. Kendra und Sam bleibt wirklich nichts erspart. Gefühlt 90 Prozent aller Widrigkeiten, vor denen in Wanderführern gewarnt wird, tun sich vor ihnen auf und die Geschichte verlor für mich ihren Zauber und ihren Reiz. Ein Unheil, oder zwei hätten bestimmt gut in die Handlung gepasst - aber SOVIELE! Obwohl sich die Erlebnisse spannend lesen lassen, ermüdete mich diese abwechslungsarme Aneinanderreihung von Unglücks- und dann auch wieder Glücksmomenten und mir schien allzu deutlich der erhobene Zeigefinger über allem zu schweben.

Fazit: Über die Intention der Autorin muss ich spekulieren. Meine Vermutung ist, dass sie junge Leute ermutigen möchte, die Welt fernab der (sozialen) Medien zu erleben, sie aber auch vor möglichen Krisen während einer langen Wandertour warnen will. Das geht leider zu Lasten der Liebesgeschichte und ihrem Coming-of-Age-Charme, da die Masse an Gefahrenmomenten, wie ich finde, zu Authentizitätsverlust führt, belehrend wirkt und die Erlebnisse auch zu austauschbar erscheinen. Der Schreibstil ist jedoch sehr passend für das Alter und jedes Ereignis einzeln und für sich genommen wirkt realistisch. Wer sich oder seine Teenagerkids auf unterhaltsame Weise über die Unwägbarkeiten in der freien Natur informieren möchte, liegt mit diesem Buch also richtig - denn davon gibt es hier wahrlich nicht zu knapp!