Rezension

Tribut an eine Freundschaft

Sorry - Zoran Drvenkar

Sorry
von Zoran Drvenkar

Bewertet mit 5 Sternen

Vier Freunde, Kris, Tamara, Wolf und Frauke. Noch vor Jahren, kurz nach der Schule, dachten sie, die Welt läge ihnen zu Füßen und warte nur darauf, was sie daraus machen. Doch das Leben lehrte sie eines Besseren. Die Realität und diverse Fügungen des Schicksals läuterten sie. Eine zufällige Begegnung im Park, ein gemeinsames Abendessen zu viert – und eine clevere Idee ward geboren.

SORRY, denn Vergebung kennt keine Grenzen.

Die Berliner gründen eine Agentur, die sich entschuldigt; für Fehltritte, Missverständnisse, Kündigungen, Streit und Fehler im geschäftlichen Bereich. Sie sind überraschend erfolgreich, der Bedarf der Unternehmen an professionell überbrachten Entschuldigungen scheint groß. Viele Gewissen werden erleichtert, Schuldgefühle beseitigt. Doch eines Tages erhalten sie einen Auftrag, der ihr Leben auf den Kopf stellt. Diese besondere Entschuldigung führt sie zu einer Toten, deren Leben auf grausame Weise ein Ende fand. Es wird erwartet, dass sie ihr eine vorformulierte Entschuldigung überbringen und die Leiche im Anschluss beseitigen. Wie sollen sich die Freunde nun verhalten? Haben sie überhaupt eine Wahl? Der geheimnisvolle Auftraggeber scheint sie in der Hand zu haben. Nicht nur ihr Leben ist plötzlich in Gefahr…

Zoran Drvenkars neuester Roman, der Thriller Sorry, sticht schon von weitem ins Auge. Das dunkle Cover mit dem verwackelten weißen Schriftzug des Titels bildet einen gelungenen Kontrast. Sehr auffällig außerdem die rote Banderole, die den geneigten Leser mit folgenden Worten zur Vorsicht mahnt: „… aber sagen Sie später bitte nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.“ und „Ein Thriller wie ein böser Traum.“. Nach der Lektüre kann ich zweifelsfrei behaupten, das Buch trägt diese Warnung zu Recht!

Der Autor begeistert in Sorry mit einem gut durchdachten Konzept. In acht Teilen fügen sich kleinste Puzzleteilchen, die diversen Kapitel, langsam zu einem großen Gesamtbild zusammen. Dabei spielt der Autor außergewöhnlich überzeugend mit unterschiedlichen Erzähl- und Zeitperspektiven. Mit diesem strukturellen Aufbau sticht Drvenkar klar aus dem Angebot üblicher Schreibkunst heraus. Er lässt den Leser zwischen einem ‚davor’, ‚dazwischen’ und ‚danach’, sowie der ersten, zweiten und dritten Person Singular hin- und herspringen, verwirrt und fordert ihn zugleich. Selbst die erste Person Plural bleibt nicht außen vor. Wie durch einen Fremdenführer werden beispielsweise Einblicke in das Leben der vier jungen Berliner geboten. Besonders ansprechend empfand ich hierbei die Aussage beim Abendessen zu Ehren Fraukes: „Während sie auf das Essen warten, sprechen sie über Frauke. Und da sehen und hören wir jetzt weg. Denn das ist privat. … Mehr müssen wir nicht erfahren.“ (Seite 312). Der Fokus liegt in den einzelnen Kapiteln jeweils auf ‚Du’, Kris, Tamara, Wolf, Frauke und ‚Der Mann, der nicht da war’. Auf diese Weise erhält der Leser allumfassende Kenntnisse rund um die verschiedenen Handlungsstränge. Und auch die Umschreibung der Gewaltverbrechen ist ungewöhnlich. Einerseits schonungslos, andererseits sachlich mit vorsichtiger Distanz. Diese Herangehensweise bietet viel Freiraum für eigene Gedanken und Vorstellungen. Es obliegt jedem Leser selbst, zu bestimmen wo die Grenze der persönlichen Phantasie gesetzt wird. Doch Vorsicht, die Thematik ist nichts für zart besaitete Gemüter!

Zoran Drvenkar präzisiert Abgründe der menschlichen Seele: Opfer, die zugleich Täter sind und umgekehrt. Eine klare Trennung zwischen Gut und Böse existiert in diesem Buch nicht. Zahlreiche Wendungen des Geschehens sorgen für Überraschung und Abwechslung. Das verwendete Präsens unterstreicht Tempo und Eigendynamik der Handlung. Wachsende Spannung und die bedrückende Atmosphäre ziehen sich kontinuierlich von Anfang bis Ende durch das gesamte Buch. Der Autor erzeugt eine beeindruckende Nähe zu Figuren und Handlung. Die Charaktere sind allesamt interessant gestaltet. Die Hin- und Hergerissenheit der vier jungen Leute in ihrer prekären Lage ist zum Beispiel sehr gut nachzuvollziehen. Das Buch ist insgesamt flüssig geschrieben, die Wortwahl direkt, offen und unverblümt. Dass Zoran Drvenkar seinen Thriller in alter Rechtschreibung präsentiert, ist heutzutage ungewöhnlich, stört mich aber überhaupt nicht, bin ich doch mit dieser Schreibweise aufgewachsen.

Fazit:

Zoran Drvenkar hat mit Sorry einen beängstigenden Albtraum erschaffen, der drohend seine Hände ausstreckt, in der Magengegend für Aufruhr sorgt und das Herz fest umklammert hält. Ein Pageturner, der so sehr fesselt, dass man vor Spannung in die Fingerknöchel beißen möchte. Respekt für dieses grandiose Werk!