Rezension

Trotz Kritik, gute Unterhaltung ...

Cruelty - Scott Bergstrom

Cruelty
von Scott Bergstrom

Bewertet mit 3 Sternen

Gwen ist ein Diplomatenkind und schon ziemlich viel in der Welt herumgekommen, nun hat es sie und ihren Dad nach New York verschlagen. Wie so oft muss sich Gwen mit einer neuen Umgebung und Klasse herumschlagen und in so einer Privatschule merkt man doch schnell, zu welcher Gesellschaftssicht man abgestempelt wird. Aber daran will sich Gwen an diesem Tag nicht stören, denn heute hat ihr Vater Geburtstag und diesen feiern sie immer zusammen. Zwischen Essen und Geschenk auspacken eröffnet dieser seiner Tochter, dass er am nächsten Tag geschäftlich nach Paris reisen muss. Da dies immer wieder vorkommt, denkt sich Gwen nichts dabei, bis auf einmal abends zwei Unbekannte vor ihrer Tür stehen und sie bitten mit zur CIA Zentrale zu kommen. Hier erfährt sie, dass ihr Vater gar kein Diplomat ist, sondern CIA-Agent und bei einem Einsatz spurlos verschwunden ist. Nun suchen sie nach Anhaltspunkten und hoffen, dass Gwen irgendetwas weiß. Aber Gwen steht unter Schock, ihr ganzes Leben steht Kopf, und als dann die CIA ihre Ermittlungen einstellen will, weiß sie, dass sie handeln muss, denn eine Spur hat sie, Paris. Was ist mit ihrem Vater passiert? Wurde er gefangen oder lebt er schon nicht mehr? Wie weit ist Gwen bereit zu gehen, um ihren Dad zu finden?

Als ich diesen Klappentext gelesen hatte, war ich sofort im Kinomodus und hatte schon die wildesten Bilder im Kopf. Es klingt doch einfach spannend, aufregend und von geballter Action. Immerhin wird aus einem ganz normalen Mädchen, ein Racheengel, und das verspricht doch gute Unterhaltung und macht doch neugierig, wie der Autor diese Entwicklung darstellt.

Wir lernen Gwen in ihrer Schule kennen, wie sie sich als Außenseiterin und Fremdling in die Klassenstruktur einleben muss, wie sie bei ihren Mitschülern ankommt und mit welchen Stänkereien sie kämpfen muss. Als Kind eines Diplomaten muss man sich ständig anpassen und damit leben, in der Welt zu Hause zu sein. Gwen hat da gerade die Nase voll von, sie hätte gern ein richtiges Heim, mit einer Mutter, die nicht schon seit 10 Jahren tot ist und Freunden in der Nachbarschaft, eben ein ganz normales einfaches Leben. So hat sie zwar schon viel gesehen und erlebt, an den verschiedensten Orten gewohnt und beherrscht eine Menge Fremdsprachen, ist aber auch sehr allein. Genau in dieser Situation, erfährt Gwen, dass ihr Leben eine Lüge ist, das ihr Vater, der noch nicht mal ihr leiblicher ist, sie angelogen hat und gar kein Diplomat ist. Alle seine Reisen und Umzüge bekommen jetzt einen anderen Blickwinkel und Gwen fühlt sich verloren und verraten. Außerdem ist sie mit der ganzen Situation überfordert, Durchsuchungsbefehle, Verhöre, eine Tante, mit der sie nie Kontakt hatte und die quälende Unwissenheit über den Verbleib ihres Vaters. Immer mehr reift eine Unruhe in ihr heran, und als dann die CIA ihre Ermittlung offiziell einstellt, muss sie sich für einen Weg entscheiden, Mädchen bleiben, oder zum Täter werden.

Am Anfang hatte ich beim Lesen das Gefühl, eine Highschool Geschichte zu lesen, junges Mädchen, eine Außenseiterin und dann lernt sie einen Jungen kennen, erste zarte Gefühle, ein fast Kuss und ich dachte, wie will der Autor da den Spagat zur Killerin schaffen, wie soll das glaubwürdig verpackt und rüber gebracht werden. Die Antwort, mit viel Zeit und die gönnt er seiner Protagonistin auch. Bis jetzt ist Gwen ein ruhiges Mädchen, die mit dem Alleinsein klarkommt und sich ihrer Umgebung anpassen kann, dass waren bis jetzt ihre größten Schwerpunkte in ihrem Leben und nun soll sich alles ändern. Wie der Zufall es so will, hat ihr Vater was hinterlassen und Gwen stößt darauf und ihre Neugier ist geweckt und so folgt sie den Anhaltspunkten nach Paris.

Der Autor macht das mit ihrer Entwicklung eigentlich ganz geschickt und spiegelt ihre Fortschritte durch ihre bereisten Städte wieder, denen er einen ganzen Abschnitt im Buch, jeweils widmet, New York mit der Erweckung, Paris, die Ausbildung, Berlin, die ersten eigenen Schritte und Prag bildet, das Schlusslicht. Ganz langsam muss sich Gwen von ihrer Unschuld lösen und Grenzen überschreiten, die sie nie wieder gut machen kann. Diese Bedenken und der innerliche Kampf ist gut dargestellt, aber trotzdem hat man bei einigen Stellen das Gefühl, das geht viel zu glatt. Wenn Gwen schon so brav rüber kommen muss, dann sollte mehr schief gehen, denn so war es mir einfach zu gewollt und passend. Was sie allerdings mitbringt und ihr das eine oder andere Mal zugutekommt, sind ihre Fremdsprachenfähigkeiten und ihr Turntraining, so nimmt man ihr vieles eher ab. Aber ich muss schon sagen, ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet hatte, in meinem Kopf wurde sie viel schneller zur Assassinen, ich hätte gedacht, dass sie vielleicht schon länger in irgendwas drin steckt und sie somit schneller und gezielter handelt und nicht eine Jungfrau, die nun ihren Mann stehen muss. Außerdem fand ich, dafür, dass sie sich so lange vieles nicht getraut hat, dann solch ein Ende ein bisschen überzogen.

Allerdings was mich total überzeugt hatte, waren die Beschreibungen vom Autor über die vier Städte, unglaublich greifbar, realistisch und mit absolutem Blick auf die Feinheiten, hat er sie wunderbar gezeichnet. Man hatte beim Lesen das Gefühl, alles Selbst zu sehen, zu riechen und die Luft zu schmecken, und ich rede nicht unbedingt von den schönen Seiten dieser Städte, das hat er verdammt gut hinbekommen.

So bin ich bei dieser Geschichte wirklich im Zwiespalt, zwischen wunderbaren Beschreibungen und einer Story, die für mich nicht ganz rund war. Gut zu lesen, aber der Spannungsbogen war einfach zu weit auseinander gezerrt und Gwens Geschichte ist noch nicht wirklich zu Ende.  Vielleicht waren aber auch meine Vorstellungen und Erwartungen einfach zu verschiedenen. Wer sich aber gerne Zeit lässt und mehr Wert auf eine Entwicklung legt, als auf Affekte und Action ist mit Cruelty bestens versorgt.