Rezension

Über Berge und Menschen.

Acht Berge
von Paolo Cognetti

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Mussmanlesen für jeden Bergfex.

Das Leben in den Bergen ist rau, karg, ärmlich. 1984, als das Internet noch nicht seinen Siegeszug um die Welt angetreten und das Dorf Grana im Grenon in Italien noch im Dornröschenschlaf liegt, verbringen die Eltern von Pietro Guasti die Sommer dort, am Fuss des Monte Rosa und versuchen, ihr Heimweh nach den Bergen, aus denen sie stammen, zu stillen. Bis 2014 bleibt dieses Dorf und seine Bergwelt das Herz der Familie, mal in der einen, mal in der anderen Weise.

Es ist beeindruckend, wie es Paolo Cognetti gelingt, in seine Beschreibungen der Wege und Wanderungen, der Gletscherbesteigungen und der Majestät der Bergwelt die Menschen einzuflechten, die sich dieser Umwelt verschrieben haben. Einerseits erkennt der Leser die schwere Arbeit der Einheimischen und der Bergbauern, andererseits ihre einfachen Freuden, ihre Schweigsamkeit erlebt er und ihre Art Freundschaft zu leben, karg, herzlich, spröde, dem Berg abgeschaut. Es gibt nicht viele Möglichkeiten für die Jugend, Bruno, der von klein auf in die bäuerische Erwachsenenarbeit eingespannt ist, erhält von der zugezogenen Sommerfamilie Zuwendung und Unterstützung, so dass er wenigstens seinen Hauptschulabschluss in der Tasche hat. Pietro hat durch seine Eltern den Zugang zur Stadt und in den Ferien die Berglandschaft, er als einziger hat eine echte Wahl, wie er leben möchte, weil er beides kennt, so wird aus ihm ein Weltenbummler, der in Kathmandu seine Erfüllung findet. Doch davor durchläuft die Männerfreundschaft zwischen ihm und Bruno viele Stadien.

Paolo Cognetti hat ein ganz zauberhaftes Buch über eine Männerfreundschaft geschrieben, die mehr eine Berggemeinschaft als eine Freundschaft ist. Diese Freundschaft braucht nicht viele Worte, jedoch eine besondere Gesinnung: die Liebe zum Gebirge. Die Lebenswege der beiden Männer sind unterschiedlich, kreuzen sich jedoch immer wieder an entscheidenden Punkten.

Beeindruckend und fazinierend ist es, wie Cognetti einen mitnimmt auf die Touren, mitnimmt zu den Erkundungen der Buben, zum Hausbau, zum Almausbau, nie langweilig. Obgleich still und ruhig der Roman sich ausgiebig den Naturbeschreibungen widmet, werden doch auch die Beziehungen der Familie Cognetti untereinander sichtbar. Der stolze, harte Vater, der auf seine Weise liebt, der zunächst zugewandte, dann verständnisarme Sohn, die Mutter, die als Bindeglied zwischen den beiden fungiert und Bruno, der eigentlich niemanden hat und doch Teil seiner Großfamilie ist, sie lieben sich nicht, aber sie schauen nacheinander, bis zum Schluss, wie es in den Bergen üblich ist.

Man muss diese Art Literatur lieben, um sie zu schätzen, und ein Gespür für die intensiven Beschreibungen der Berge haben, ihrer Lichteinfälle, ihrer Wasser, ihrer Tiere und Menschen, die mit harten Lebensbedingungen kämpfen und dadurch hart werden. „Acht Berge“ ist ein langsamer Roman, ein Roman mit Sinn fürs Detail, die Handlung ist die Beschreibung dieser Welt, auch wenn Menschen vorkommen, sind sie nicht die Hauptprotagonisten.

Lyrisch, melancholisch, schön und doch ungeschminkt ist dieser Roman, der nicht verschweigt, dass die alte Art zu leben, durch die Moderne bedroht ist und allmählich ausstirbt. Alles verändert sich, manches zum Guten, aber sehr viel auch zum Schlechten, jedenfalls was die Natur angeht, die immer mehr und mehr zurückgedrängt und zerstört wird, auch in Grana. Die Wintertouristen bringen Geld in die Kassen, aber der Massentourismus ist auch verantwortlich für Lawinen und Verschüttungen und manche andere Art der Umweltzerstörung.

Sentimentalfrei und doch anrührend schreibt er, der Herr Cognetti und bringt für alle, die einmal in den Bergen waren, zahllose Erinnerungen zurück.

Fazit: Ein wundervolles Buch über das Leben, das in den Bergen nur den Bergen gehört.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: DVA, 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 14:55

Ich vermute, dann wird Dir auch der Seethaler gefallen.

wandagreen kommentierte am 26. September 2017 um 14:59

Ich bin ganz sicher. Diese Biene war sicher ein Aussetzer von ihm. Ein einmaliger Ausrutscher. Eine Jugendsünde ohne Jugend.

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 15:07

Biene und Kurt (Letzteren kenne ich persönlich) sind ein Meisterwerk! Das letzte Buch fällt gegenüber allen vorherigen aus dem Rahmen - es entfaltet die Geschichte ganz in Ruhe.

wandagreen kommentierte am 26. September 2017 um 15:17

Der Kurt ging ja noch, aber die Biene! Diese Verführungsszene - eklig.

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 17:08

Ach, Du musst das Gesamtwerk sehen in seiner Wirkung der Hin-und-weg-Haftigkeit!

katzenminze kommentierte am 26. September 2017 um 16:02

Ihr redet in Zungen! O.o

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 17:11

Ich habe Wanda mal von Robert Seethaler "Die Biene und der Kurt" empfohlen, eins meiner Lieblingsbücher und von internationalen LeserInnen der großen Literaturstädte (u.a. Sauensiek, Kaarst, Grevenbroich) hoch geschätzt! Dabei stieß ich bei Wanda auf insgesamt  begrenzt positive Resonanz. Den Kurt kenne ich natürlich nicht wirklich, aber es gibt jemanden, der mich ein bisschen an ihn erinnert hat.

Sie hat jetzt von Seethaler "Ein ganzes Leben" da, ein Buch, das ganz anders geschrieben ist, ohne die skurrilen Szenen der anderen Seethaler-Bücher, und ich vermute, dass ihr das gefallen wird. Ihre Beschreibung in ihrer Rezi hat mich teils daran erinnert.