Rezension

Über Licht, Kunst und Unglück oder: Jammern auf höchstem Niveau!

Lichter als der Tag - Mirko Bonné

Lichter als der Tag
von Mirko Bonné

Bewertet mit 3 Sternen

Ich kann mich für Unglückselige erwärmen, aber nicht für Jammerlappen.

„Lichter als der Tag“ ist das vierte Longlistbuch 2017, das ich lese, also nach dem grandiosen Roman „Die Hauptstadt“, nach „Phantome“ und nach „Nach Onkalo“, und „Lichter als der Tag“ hat mir bis jetzt am wenigsten von diesen allen zugesagt. Es ist nicht weniger kunstvoll, nur hat es meinen Lesegeschmack nicht getroffen. Deshalb wird die Rezension von Mirko Bonnés „Lichter als der Tag“, ausnahmsweise einmal eine recht persönlich gefärbte!

Was ich sehr gut bewerte und was mich unterhalten hat, war die Frage, ob man jemals einen Menschen so gut kennt, wie man denkt. Die Kiefernchirurgin Florentine Lepsius und Raimund Merz, ein Ehepaar um die 50, kennen sich jedenfalls überhaupt nicht. Ganz klar muss man sagen, dass dieses Nichtkennen zu Lasten Raimunds geht.

Raimund ist besessen von den Farben des Lichts im Hamburger Bahnhof und von den Farben und dem Motiv eines Bildes des Malers Camille Corot, „Champs de blé dans le Movan“, einem Kunstwerk, das in einem Museum in Frankreich hängt. Das Motiv einer inneren Besessenheit von Licht, das sich durch den ganzen Roman zieht, ist ein besonderes. Möglicherweise ist die Suche nach dem Licht ein wenig sonderbar. Die Beweggründe Raimunds habe ich jedenfalls nicht nachvollziehen können und es ist schade, dass der Autor es nicht vermocht hat, mir diese Besessenheit des Hauptprotagonisten Raimund Merz besser zu erklären. Vielleicht ist sie per se unerklärbar. Entweder man versteht sie oder man versteht sie nicht.

Ein anderes Motiv, das sich durch das Buch zieht ist die Kindheit Raimunds. Die Idylle. Echt oder scheinbar? Geträumt oder gelebt? Man bräuchte einen Psychologen, um offenzulegen, warum Raimund nicht erwachsen werden kann und die Bilder und Eindrücke seiner Kindheit nicht hinter sich lässt.

Anderes habe ich verstanden. Dass Raimund nie den Mund aufmacht, dass er weder sagt, was er will noch weiß, was er will, aber jeden, besonders seine Frau Florentine dafür verantwortlich macht, dass er unglücklich ist. Ohne Worte, selbstredend. Er verweigert sich einfach. Ha, ich hätte Raimund an die Wand klatschen können!

Raimund hat drei Kinder, die er angeblich liebt, die ihn aber gedanklich nicht in der Gegenwart halten, einen Job, der ihn von dem Geld seiner tüchtigen, ergebnisorientierten Frau, die ihn aus unerklärlichen Gründen anbetet, unabhängig macht, aber dankbar ist er dafür nicht. Noch nach Jahr und Tag heult er seiner verflossenen Jugendliebe Inger hinterher, die aus mir ebenfalls nicht verständlich gewordenen Gründen, seinen Jugendfreund Moritz ehelichte, obwohl sie ebenfalls Raimund liebte. Der Autor bietet eine Erklärung an, die ich aber nicht geschluckt habe.

Raimund hat ein hübsches Haus, wenigstens äußerlich eine funktionierende Ehe, hat sich befriedigenderweise fortgepflanzt, kann auch konsequenzenlos Tage im Büro schwänzen und mault und leidet auf höchstem Niveau vor sich hin und den Leser an. Leute, ich kann Raimund nicht ausstehen!

Eines Tages dreht er durch, verschwindet mit seiner jüngsten Tochter nach Frankreich und jagt dem erwähnten Bild hinterher. Habe ich schon mal gesagt, dass ich den verantwortungslosen Raimund nicht ausstehen kann?

Als er nach diversen inneren und äusseren Abenteuern, die allesamt nicht meine Billigung finden, wiederkommt, das heißt, also er muss eigentlich geholt werden, warum hat er treue Freunde, die ihn suchen, er weiß sie nicht zu würdigen, haben seine Handlungen seltsamerweise keinerlei strafrechtlichen Folgen für ihn, was, ehrlich gesagt, vom Autor zwar ganz geschickt hingedreht wird, ich ihm aber dennoch nicht abgenommen habe. Deshalb hat mir nicht mal der versöhnliche Schluss gefallen, der aber so gar nicht zu der deprimierenden Grundstimmung des Romans, die sonst vermittelt wurde, passt.

Fortan lebt Raimund ein vergnügtes Leben mit seiner Jugendfreundin. Im Büro scheint auch wieder alles paletti.

Es ist klargeworden, dass der Inhalt des Romans mich nicht verzückt hat, es ist jedoch noch nicht klargeworden, wie sehr mich diese endlosen inneren Monologe und Grübeleien Raimunds gelangweilt und genervt haben. Obwohl Herr Bonné selbstredend hervorragend schreibt, eine kleine Leseprobe seines Könnens: „Selbstzerstörung begann im Herzen, die eigenen Sehnsüchte verlor man stets zuerst aus den Augen, und sehr schnell erschien einem der innere Gefühlskompass zusammengeschrumpft auf die Größe eines Sandkorns.“

Gefallen haben mir noch die Ausführungen über Insekten, da Raimund sich wenigstens für eines interessierte: für Entomologie.

Fazit: Man kann Herrn Bonnés Werke nicht unter drei Sternen veranschlagen. Wegen seiner Komposition. Wegen seiner Sprache. Wegen seiner Ideen. Dabei bleibts aber auch. Mir hats nicht gefallen. Das Gefasel über Licht bleibt für mich schlichtweg Gefasel, ich will in meiner Bewertung jedoch in Rechnung stellen, dass andere Leser damit eventuell mehr anfangen können.

Kategorie: Zu anspruchsvolle Literatur für mich.
Verlag: Schöffling, 2017

 

 

Kommentare

sphere kommentierte am 09. September 2017 um 07:49

Danke für die ausführliche Rezension. Ich glaube, in mener Shortlist habe ich dieses Buch nicht...

edit: doch, auf Platz 6...

katzenminze kommentierte am 09. September 2017 um 13:25

Haha, sehr schöne Rezension! Raimund hört sich wirklich nach einem unausstehlichen (Autokorrektur sagt "unausgeglichen" und hat auch recht...) Kerl an. Wobei die Sache mit dem Licht durchaus interessant klingt. Na, ich begnüge mich hier definitiv mit deiner Rezension. ;)

Steve Kaminski kommentierte am 10. September 2017 um 09:36

Magst Du jetzt Raimund eigentlich oder nicht???? Das wird überhaupt nicht klar!!! :-) - Das scheint ein merkwürdiges Buch zu sein: Ob er, bei der Persönlichkeitstruktur, die sich da andeutet, wirklich mit jemand anders (seiner Jugendliebe) glücklich oder fröhlich leben kann?

Ich stelle das Buch in meiner Wunschliste auf Platz 17.966, sodass ich es nicht vor meinem 347. Geburtstag lesen werde...

wandagreen kommentierte am 10. September 2017 um 14:25

:D. Vllt ist es auch nicht merkwürdig und ich habe den tiefen Sinn, der darin liegt, halt nicht erkannt. Schoki sagt, seine anderen Bücher seien auch so ähnlich, gute Komposition, merkwürdige Protas und Themen. Und sehr ausgiebig langweilig. Hm, ich versuche irgendwann noch mal ein zweites von ihm, dann entscheidet "es" sich.

Steve Kaminski kommentierte am 10. September 2017 um 19:09

Lies abends die ersten 100 Seiten, dann schläfst Du ein und träumst den Rest fertig!

wandagreen kommentierte am 10. September 2017 um 23:17

Es wirkt sogar tagsüber.

Steve Kaminski kommentierte am 11. September 2017 um 09:06

Was für ein tolles Buch! Guck mal, mit welchen Nahrungsmitteln Du es kombinieren kannst!