Rezension

Über weite Teile eher gemächlich, doch dann kommt Hochspannung auf!

Der Nebelmann - Donato Carrisi

Der Nebelmann
von Donato Carrisi

Bewertet mit 4 Sternen

Kurz vor Weihnachten verlässt die sechszehnjährige Anna Lou nachmittags ihr Elternhaus und macht sich auf den Weg zu einem Treffen in der Kirche. Dort kommt sie allerdings nie an. Niemand scheint etwas gesehen oder gehört zu haben.  Die Polizei in dem kleinen Bergdorf weiß nicht genau, wo sie ansetzen soll und ob es sich wirklich um einen Ernstfall handelt. Könnte das Mädchen nicht auch einfach weggelaufen sein? Als Sonderermittler Vogel im Dorf eintrifft, um die Ermittlungen zu leiten, kommt Bewegung in die Suche. Vogel ist sofort davon überzeugt, dass Anna Lou einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Doch ihm fehlen Spuren und Hinweise. Deshalb beginnt er, die Medien einzubeziehen und schon bald steht Anna Lous Verschwinden im Mittelpunkt des Interesses. Medienvertreter und Schaulustige stürmen in den Ort, um direkt dabei zu sein. Es beginnt eine wahre Hetzjagd, bei der Vogel geflissentlich darüber hinwegsieht, dass auch Unschuldige ins Visier der Presse geraten könnten. Vogel hat nur ein Ziel: er muss den Fall unbedingt aufklären und zwar um jeden Preis!

Donato Carrisis Thriller beginnt zweiundsechzig Tage nach dem Verschwinden von Anna Lou. Sonderermittler Vogel wird blutverschmiert aufgefunden und hat sich offensichtlich den Zorn und das Misstrauen der Staatsanwältin zugezogen. Man ist sofort neugierig und fragt sich, was da passiert sein könnte. Ein Psychiater wird damit betraut, sich einen Eindruck von Vogel und seinem Zustand zu machen. Der Fall wird nun Stück für Stück in Rückblenden aufgerollt und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Der Autor springt zwischen den Zeiten hin und her und wechselt oftmals die Perspektiven. Da die Kapitel aber mit dem entsprechendem Datum und der genauen Angabe, um welchen Tag es sich vor oder nach dem Verschwinden von Anna Lou handelt, gekennzeichnet sind, fällt die zeitliche Orientierung leicht. Man ist sich stets bewusst, in welchem Zeitraum sich die jeweilige Handlung zuträgt.

Obwohl der Thriller, durch den interessanten Einstieg vom ersten Moment an die Neugier schürt, lässt die Spannung zunächst auf sich warten. Denn man lernt erstmal die Hauptakteure und die Gepflogenheiten in dem Dorf kennen. Da es kaum oder eher gar keine Spuren gibt, wirkt auch die Ermittlungsarbeit eher gemächlich und wenig interessant. Vogel setzt ganz auf die Medien und so beobachtet man dann, wie  er sie geschickt für seine Zwecke einsetzt und welche Wirkung er damit hervorruft. Schon bald scheint sich niemand mehr richtig für das verschwundene Mädchen zu interessieren, sondern nur noch für die Sensation an sich.

Der Schreibstil von Donato Carrisi ist flüssig und sehr angenehm lesbar. Man kann sich die beschriebenen Orte mühelos vorstellen. Er versteht es außerdem hervorragend, die düstere Atmosphäre und auch die von den Medien aufgeheizte Stimmung glaubhaft zu vermitteln, sodass man der Handlung, trotz der zunächst kaum vorhandenen Spannung, interessiert folgt. Die Charaktere sind etwas gewöhnungsbedürftig, denn Vogel ist kein Sympathieträger, sondern ein eiskalter Egoist, der nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat. Auch sonst sind sympathische Protagonisten, die einen dazu verleiten könnten, mit ihnen mitzufiebern, eher rar gesät. Man betrachtet das Geschehen also eher distanziert. 

Zum Ende hin steigt die Spannungskurve steil nach oben. Die Ereignisse überschlagen sich und überraschende Wendungen sorgen schließlich dafür, dass man die Auflösung kaum glauben mag. 

Ich habe mich beim Lesen dieses Thrillers im Großen und Ganzen sehr gut unterhalten. Auch wenn ich zugeben muss, dass mir über weite Teile die Spannung zu kurz kam. Da ich dafür aber am Ende mit einem rasanten Finale, bei dem ich kaum glauben konnte, was ich da las, entschädigt wurde, sehe ich darüber großzügig hinweg und empfehle das Buch gerne weiter. Auf meiner persönlichen Bewertungsskala bekommt der Thriller vier von fünf möglichen Sternen.