Rezension

Ungesühnt

Der Mordfall Franziska Spiegel - Norbert Sahrhage

Der Mordfall Franziska Spiegel
von Norbert Sahrhage

Bewertet mit 5 Sternen

Franziska Spiegel, geborene Goldschmidt, eine Jüdin, lebt zurückgezogen mit Mann Gottfried und Sohn Rolf in Westfalen. Es ist der Familie bisher gelungen, die Mutter vor dem Zugriff der Nazis zu beschützen. Bis ein übereifriger Ortsgruppenleiter Franziska bei der SS denunziert und ihr Schicksal besiegelt. Am 4. November 1944 wird sie von SS - Leuten in einem nahegelegenen Waldstück erschossen.
Der Dorfpfarrer verweigert dem verzweifelten Witwer eine Beerdigung, mit Hilfe eines Bauern bekommt Franziska ein vorläufiges Grab am Waldrand.
Nach Kriegsende versucht Gottfried Spiegel die Mörder zur Verantwortung zu ziehen, allein Kriminalpolizist Zöllner ist an einer echten Aufklärung interessiert, aber er stößt auf eine Mauer des Schweigens und Desinteresse. Zöllner selbst hatte unter dem Regime zu leiden und erst nach dem Krieg wieder als Polizist arbeiten können, er geht allen Spuren nach, auch wenn er von seinen Vorgesetzten ausgebremst wird. Zeugen schweigen, werden eingeschüchtert und verschwinden, die Verantwortlichen leben längst wieder in gesicherten Verhältnissen und haben schon kurz nach der Entnazifizierung ihren Einfluss wieder gewonnen.
Man kann dieses Buch, das auf einer wahren, dokumentierten Begebenheit basiert nicht lesen ohne in einen Gefühlsstrudel gezogen zu werden. Entsetzen wechselt sich mit Wut ab.
Wütend wurde ich auf die Gleichgültigkeit der amtlichen Stellen, bei denen schon längst wieder die alten Seilschaften der Nazis das Sagen haben. Kaum jemand ist bereit sich der Vergangenheit zu stellen, es wird abgewiegelt und gebremst. Die karge, emotionslose Sprache, die Norbert Sahrhage für diesen wichtigen Roman gewählt hat, macht die Ungeheuerlichkeit der Vorgänge noch schockierender. Die Form bringt mir die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes und vor allem das willfährige Verhalten der Bevölkerung näher, als es eine trockene Dokumentation oder ein Geschichtsbuch könnte.
Ich halte das Buch für eine Pflichtlektüre vor allem auch für jüngere Leser, die keine Gelegenheit mehr haben, mit Augenzeugen oder Betroffenen zu sprechen.
Heute steht ein Gedenkstein an der Stelle, wo Franziska Spiegel ermordet wurde und die Gemeinde gedenkt ihr mit einem Straßennamen, eine kleine Geste der jetzigen Generation, wo die vorherige so bitter versagt hat.