Rezension

Unglaublich berührend und einnehmend ♥

Was fehlt, wenn ich verschwunden bin
von Lilly Lindner

Bewertet mit 5 Sternen

„Ach weißt du April, das sind ja alles nur Wünsche. Und Wünsche gehen nicht in Erfüllung, wenn man einfach herumsitzt und auf sie wartet. Man muss sich seine Wünsche holen. Und wenn man sie hat, dann muss man darauf achtgeben, dass man sie nicht wieder verliert. Man muss auch unterscheiden können zwischen Wünschen, die man nur träumen sollte, weil sie in Wahrheit gar nicht so gut wären, und zwischen richtigen Wünschen, für die man kämpfen muss.“ (S.73)

April ist fort. Seit Wochen kämpft sie in einer Klinik gegen ihre Magersucht an. Und seit Wochen antwortet sie nicht auf die Briefe, die ihre Schwester Phoebe ihr schreibt. Wann wird April endlich wieder nach Hause kommen? Warum antwortet sie ihr nicht? Phoebe hat tausend Fragen. Doch ihre Eltern schweigen hilflos und geben Phoebe keine Möglichkeit, zu begreifen, was ihrer Schwester fehlt. Aber sie versteht, wie unendlich traurig April ist. Und so schreibt sie ihr Briefe. Wort für Wort in die Stille hinein, die April hinterlassen hat.

Meine Meinung

„Lilly Lindner weiß wie man Bücher schreibt“, diesen Satz, den ich auf der hinteren Umschlagsklappe gelesen habe, kann ich wirklich nur bestätigen. Lilly Lindner weiß wie sie  Emotionen in Worte verpacken muss, damit sie nicht nur leblos auf dem Papier stehen, sondern richtig wahrgenommen und gespürt werden. Von außen mag „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ äußerst unscheinbar wirken, aber sobald man die ersten Sätze gelesen hat, ist unscheinbar wirklich das letzte Wort, das man zum Beschreiben des Inhalts in den Mund nehmen würde. Allerdings fällt es einem allgemein schwer die Story dieses Buches zu beschreiben ohne zu viel vorneweg zu nehmen, darum beschränke ich mich darauf zu erzählen, was die Geschichte in mir ausgelöst hat.

Mit ihrer unterschwelligen Traurigkeit und Melancholie hat sie mich sehr berührt,  nachdenklich gestimmt, hin und wieder ein leichtes Lächeln auf die Lippen gezaubert, mich stellenweise aber auch wütend auf die eine oder andere Person werden lassen. Kurz gesagt: Ich durfte die ganze Bandbreite an unterschiedlichen Gefühlen und Emotionen durchleben.  Obwohl die Geschichte dadurch äußerst fesselnd ist und einen, wenn man erst einmal zu lesen begonnen hat, kaum aus ihrem Bann lässt, war „Was fehlt wenn ich verschwunden bin“ für mich kein Buch, dass ich an einem Stück durchlesen konnte. Stattdessen habe ich es immer wieder zur Seite gelegt, um das Gelesene sacken und auf mich wirken zu lassen.  

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist ein Briefroman, wobei das Briefeschreiben eher einseitig verläuft. In der ersten Hälfte kommt ausschließlich die kleine Phoebe zu Wort, deren Briefe die meiste Zeit so erwachsen und weise klingen. Hin und wieder findet sie jedoch Erklärungen, die so herrlich unverblümt und fantasiereich sind, dass man einfach merkt, dass das Geschriebene von einem Kind stammt. Alles in allem ist Phoebe ein ganz besonderes Mädchen, das man nicht nur in sein Herz schließt, sondern das einen auch regelmäßig zum Staunen bringt. Außerdem ist es wirklich berührend, wie sehr sie ihre große Schwester liebt und alles dafür tun würde, damit diese endlich wieder nach Hause kommt.

April & Phoebes Eltern sind mit der momentanen Situation sichtlich überfordert. Sie versuchen zwar für ihre jüngere Tochter da zu sein, doch es fällt ihnen zunehmend schwerer, je länger Aprils Krankenhausaufenthalt dauert. Sie sind so mit ihrer Traurigkeit  beschäftigt, dass sie dabei vergessen, dass Phoebe ebenfalls leidet. Schließlich vermisst Phoebe ihre Schwester auch...Außerdem macht sie sich natürlich ihre Gedanken und hat zahlreiche Fragen, auf die sie keine Antwort bekommt. Dabei sollte kein Kind mit seinen Gedanken und Gefühlen allein gelassen und dazu gezwungen werden allein einen Weg zu finden mit allem umzugehen. Im späteren Verlauf kristallisiert sich allerdings mehr und mehr heraus, dass die Eltern das entscheidende Zünglein an der Waage sind und sich hinter April Magersucht eine Art Hilfeschrei verbirgt. Ein Hilfeschrei nach Aufmerksamkeit, Liebe und Verständnis, ein Hilfeschrei, der nicht gehört bzw. falsch verstanden wird.

Die zweite Hälfte des Buches wird aus April Perspektive erzählt und ist mir noch einmal um einiges näher gegangen. Wie düster es in ihrem Inneren aussieht und wie unglücklich sie ist, konnte jeder einzelnen Seite entnommen werden. April tat mir einfach nur leid! Wie gerne hätte ich sie in den Arm genommen, sie getröstet und ihr geholfen, damit es ihr wenigstens ein kleines Bisschen besser geht.

Mein Fazit

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist nicht nur schriftstellerisch (wer schon einmal etwas von Lilly Lindner gelesen hat, weiß wie gut sie mit Worten umgehen kann), sondern auch von den Emotionen ein kleines Meisterwerk ist. Ich weine wirklich sehr selten bei Büchern, doch Lilly Lindner hat es mit ihrer Geschichte geschafft. Stellenweise habe ich es fast nicht ausgehalten und musste das Buch kurz zur Seite legen, weil mir das Ganze so dermaßen nahe gegangen ist - besonders als wir Aprils Sicht der Dinge erfahren. Von mir gibt es daher volle 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!