Rezension

Unglaubliches Werk

Nevermore - Kelly Creagh

Nevermore
von Kelly Creagh

Bewertet mit 5 Sternen

Heiseres Geflüster stieg auf der anderen Seite der Tür hoch. Es hörte sie an wie trockene Blätter, die über einem Feuer knisterten. Zuerst begann es ganz leise. So leise, dass Isobel sich nicht sicher war, was für eine Art Geräusch es war oder ob sie überhaupt etwas gehört hatte. Doch dann wurden die Stimmen deutlicher und zischten durch den Spalt unter der Tür. Irgendetwas lachte. Ein flinker Schatten bewegte sich so rasch und behände wie ein Tier.
Isobel fasste Varen am Arm. "Was ist los?"
Vorsichtig machte er ein paar Schritte nach vorne und stellte sich schützend vor sie. "Sie haben uns gefunden."

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INHALT:
Isobel ist eine beliebte Cheerleaderin mit einem gutaussehenden Freund und einer großen Clique. Als sie bei einem Schulprojekt dem Außenseiter und Goth Varen zugewiesen wird, ist sie danatürlich nicht sonderlich erfreut. Doch wider Erwarten verstehen sich die beiden gut, so gut, dass Isobel beginnt, Gefühle für ihn zu entwickeln. Aber Varen hat ein dunkles Geheimnis voller Abgründe und Dämonen und Isobel wird immer weiter darin verstrickt. Schatten manifestieren sich und sie ist sich nicht mehr sicher, wem sie eigentlich trauen kann. Schließlich ist sie die Einzige, die Varen noch retten kann - aber wie?

MEINE MEINUNG:
Der Einstieg in Kelly Creaghs Fantasyroman "Nevermore", dem ersten Teil einer Trilogie, gestaltet sich relativ typisch für ein solches Buch: Die beliebte, blonde Protagonistin wird einem Außenseiter für ein Projekt zugeteilt und stellt fest, dass dieser viel liebenswerter ist als gedacht. Nach kurzer Zeit allerdings wird schon klar, dass sich das Buch dennoch absolut abhebt - denn hier geht es weitaus düsterer zu als man es möglicherweise gewohnt ist. Auch der Schreibstil ist anders, voller wunderschöner, detailverliebter, aber keineswegs ermüdender, Beschreibungen erschafft die Autorin eine ganz eigene und faszinierende Welt, die völlig in den Bann zieht.

Isobel ist zwar eigentlich die stereotype, gutaussehende und beliebte Hauptperson, ihr Charakter jedoch ist da ganz anders. Von Anfang an ist sie absolut sympathisch, liebenswürdig und mutig. Eingangs sträubt sie sich noch dagegen, dass sie Varen so viel mehr mag als ursprünglich angenommen, dies wird aber nicht zu einem ewigen Monolog ausgebaut. Außerdem ist sie in der Tat clever, wenn sie auch beinahe nie auf das hört, was andere ihr sagen. Varen ist komplett untypisch: Weder der perfekte Sunnyboy, noch auf irgendeine konventionelle Art der Herzallerliebste. Stattdessen trägt er schwarz, hat ein Lippenpiercing und ist schweigsam. Doch trotzdem hat er eine Ausstrahlung und eine Art, die weibliche Leser - mich eingeschlossen - ungewollt zum Quietschen bringt.

Aber auch die Nebencharaktere lassen absolut nicht zu wünschen übrig. Im Laufe der Handlung freundet sich Isobel mit ihrer Spindnachbarin Gwen an, einem freundlichen, hilsbereiten und witzigen Mädchen, das es sich nicht nehmen lässt, sich des Öfteren mal in allerlei Dinge einzumischen. AuchIsobels Exfreund, der zwar rau ist und sich Varen gegenüber unmöglich verhält, überzeugt dadurch, dass trotzdem klar wird, dass er Isobel liebt und all dies nur aus diesem Grund tut. Jede der Figuren wurde mit festen Strichen gezeichnet und besitzt einen entsprechenden Platz im Buch, weshalb keine auch nur ansatzweise überflüssig oder eindimensional wirkt.

Die Geschichte selbst ist so ganz anders als man es von Fantasy-Jugendbüchern gewohnt ist und kann damit von Anfang an in den Bann ziehen. Zwar muss sich Isobel anfangs von ihren Vorurteilen und Freunden, die keine Freunde sind, lösen, doch danach überschlagen sich die Ereignisse. Sie lernt Varen kennen und seine Lebensumstände, erfährt, dass er eine Vorliebe für Poe und dessen Texte hegt sowie daran glaubt, dass ein Poltergeist in dem alten Buchladen haust, den die beiden aufsuchen. Dabei ist die Atmosphäre wunderbar geheimnisvoll, dicht und auch ein wenig gruselig, während immer wieder die Gedichte und Geschichten des alten Schriftstellers sowie sein Leben in die Handlung eingebunden werden. Vorwissen ist hier nicht nötig - es wird alles perfekt erklärt, sodass zu keiner Zeit Fragen aufkommen.

Die Liebesgeschichte entwickelt sich langsam, aber stetig, und die kribbelnden Gefühle von Isobel für Varen reißen den Leser komplett mit. Hier wird es nicht schnulzig oder gar kitschig und auf ein Liebesgeständnis muss lange gewartet werden - doch genau das ist es, was das Ganze so besonders macht. Aber auch die Story schreitet mit steigender Seitenzahl immer weiter voran, wird spannender, atemberaubender und bewegt sich kontinuierlich auf einem hohen Level der Schreibfähigkeit. Geschickt versteht es Kelly Creagh, einige Fragen zu beantworten und wieder neue aufzuwerfen, während sie Poes Welt und die Realität miteinander verbindet. Dies endet in einem überraschenden und schockierenden Ende, das nicht direkt ein Cliffhanger ist, aber den Leser so mitnimmt, dass das Warten auf Band 2 wie eine lange, lange Qual erscheint. Her mit dem im August diesen Jahres erschienenen "Enshadowed", denn ich kann es kaum noch erwarten!

FAZIT:
"Nevermore" hat wunderbare Charaktere, einen tollen Plot und ist wahnsinnig spannend - so spannend, dass ich den ganzen Wälzer an einem Tag gelesen habe. Von diesem wunderbaren Buch ist das Losreißen fast unmöglich! 5 Punkte, meine uneingeschränkte Empfehlung und ganz sicher eines der Highlights dieses Jahres!