Rezension

Unheimlich kompliziert

Schöne Seelen und Komplizen - Julia Schoch

Schöne Seelen und Komplizen
von Julia Schoch

Bewertet mit 2 Sternen

„Ich blättere darin herum, ich bleibe an einzelnen Wörtern hängen, ich muss das nicht verstehen.“ (S. 244)

Eine Schulklasse um die Zeit der Wende führt uns in diesem Roman vor Augen, wie sehr die Änderungen des politischen Systems jeden einzelnen persönlich beeinflusste. Dabei begleiten wir die einzelnen Schüler zunächst in der Zeit der politischen Umbrüche, um sie dann im zweiten Teil in unserer Zeit wieder zu treffen. Besonders dort wird deutlich, wie sehr der ein oder andere mit den Umständen zu knapsen hatte.

Ich will nicht sagen, dass mir dieses Buch nicht gefallen hat, dafür habe ich zu wenig davon verstanden. Und dabei fing es so gut an: Eine Schulklasse um die Zeit der Wende, ganz unterschiedliche Figuren, die ganz unterschiedliche Einstellungen zum System haben, und plötzlich wird alles anders. Die politischen Auswirkungen sind uns allen hinlänglich bekannt, doch einen Blick auf die persönlichen Auswirkungen zu erhaschen, das fand ich ziemlich reizvoll.

Leider fiel es mir so schwer, dem Buch zu folgen, dass es für mich keinen Lesegenuss bot. Die Schulklasse scheint nahezu vollständig aus Philosophen zu bestehen, den Eindruck erwecken jedenfalls die vielen tiefsinnigen Gedanken, doch abgesehen davon?
Jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen (ehemaligen) Schülers geschrieben, die sich keine Mühe geben, ihre Handlungen und Gedanken mit Hintergrund zu unterfüttern. Schon klar, für die Personen ergibt das auch keinen Sinn, und mich nerven übertriebene Nebensätze im Sinne von „Der Hans, der ja letzten Monat seine Frau verloren hat…“, die nur der Erklärung für den Leser dienen, im Normalfall auch. Aber dass ich mir Zeitsprünge selbst überlegen muss, ebenso den Fall der Mauer (sie können problemlos in den Westen fahren, also wird das jetzt wohl schon passiert sein), warum irgendjemand eine Alibibeziehung braucht (lesbisch? Wer weiß das schon…), das wird auf fast dreißig Seiten dann doch anstrengend.
Hinzu kommt die Fülle an Figuren, zu denen ich durch den Aufbau einfach keine Bindung aufbauen konnte, und der Sätze wir „Ellen rief mich an“ kompliziert macht. Wer war Ellen noch gleich?

„Vielleicht ist alles ganz einfach, wenn etwas tatsächlich passiert. Vielleicht ist das Schreckliche immer nur die Vorstellung.“ (S. 35)
„[…] die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte wandernder Grenzzäune, jedes Mal mit viel Natur dazwischen.“ (S. 85)
„Das Scheißsystem macht sich vom Acker, aber das Schlechte lässt es da, findest du das nicht ungerecht?“ (S. 108)

All das sorgte leider dafür, dass ich keinen Spaß daran hatte, dieses Buch zu lesen. Es lief nebenher mit, wenn ich mich zwischendurch mal überwinden konnte, weiter zu lesen, und machte mir ansonsten eher ein schlechtes Gewissen. Ich hoffe jedoch sehr, dass es Menschen gibt, die meine Kritikpunkte eher reizvoll finden und diesem Roman die Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen, die ich ihm durchaus gönne.