Rezension

Unsere Perle, unser Iran - Debüt über Revolution und der Suche nach Identität

Nachts ist es leise in Teheran
von Shida Bazyar

Bewertet mit 4 Sternen

Unsere Perle, unser Iran

Intensives Debüt über Revolution und der Suche nach Identität

Iran, 1979: Der Schah ist vertrieben und Hoffnung breitet sich in Iran aus. Der junge kommunistische Revolutionär Beshad engagiert sich für eine neue Ordnung, plant gefährliche, politische Aktionen mit einer kommunistischen Gruppierung, deren Anführer er ist. Bevor es in Iran für ihn brenzlig wird, lernt er die Literatur Studentin Nahid kennen, die Liebe seines Lebens. Als die Mullahs die Macht übernehmen, wird es für die junge Familie gefährlich und sie müssen mit ihren zwei kleinen Kindern, ohne jeden Abschied fliehen. Ihr Weg führt sie nach Deutschland.

Zwischen Hoffen und Bangen, warten sie auf Neuigkeiten von ihren Freunden, die untertauchen mussten und sie hoffen weiter, auf eine politisch ruhigere Lage, denn eines Tages möchten sie aus ihrem Exil zurück.

Viele Jahre später besucht Nahid mit ihrer Tochter Laleh die iranische Heimat. Während Nahid aufblüht, sieht sich Laleh mit einer Welt konfrontiert, die nichts mehr mit ihren Kindheitserinnerungen gemein hat. Als Teenager fällt es ihr sichtlich schwer, sich dem Leben dort anzupassen

Beshads und Nahids Sohn Mo widmet sich allem lieber, als an den von seinen Studienkollegen veranstalteten Pseudodemonstrationen teilzunehmen, während sich der arabische Frühling langsam entwickelt. Er kann sich, aufgewachsen in Deutschland, nur schwer mit all den politischen Dingen identifizieren, doch sein gesellschaftliches Umfeld erwartet es von ihm. Erst als sich die Grüne Revolution abzeichnet, dreht sich Mos Welt plötzlich außer Takt und seine Welt gerät ins Wanken.

Die Autorin:

Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim, bevor sie nach Berlin zog, um ein Doppelleben zu führen. Halbtags ist sie Bildungsreferentin für junge Menschen, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in Brandenburg machen, die verbleibende Zeit verbringt sie als Autorin. Neben Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses 2012 und Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

Reflektionen:

Nachts ist es leise in Teheran ist die Geschichte einer iranischen Familie, die nach der Revolution im Jahr 1979, nach dem das Land von einer geistlichen Führung regiert wird, nach Deutschland emigrieren muss.

Shida Bazyar erzählt eindrucksvoll, wie mutig Beshad und seine kommunistische Bewegung gegen eine geistliche Staatsform kämpfen. Wie sie selbstlos jeder Gefahr entgegentreten, bis es für die junge Familie zu gefährlich wird, entdeckt und verhaftet zu werden. Mitreißend und intensiv erzählt, nah am politischen Geschehen, bekommt der Leser eine Ahnung, wie dramatisch und gefährlich diese Widerstandskämpfe geführt wurden. Die Aktionen der Gruppierung, von denen Shida Bazyar sehr anschaulich erzählt, lesen sich so spannend wie ein Kriminalroman, wohl wissend, dass diese Bewegungen in Wahrheit stattgefunden haben.

Vollends entwurzelt und große Steine aus dem Weg räumend, meistern Beshad und Nahid ihren Alltag, um zu immigrieren, nach dem klar wird, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht mit einem vorübergehenden Exil gleichzusetzten ist. Der Weg dorthin ist eindrucksvoll geschildert, ohne die Integration überschwänglich und aktuell trendmäßig zu thematisieren, was ich sehr positiv empfand.

Unglaubwürdig und enttäuschend hingegen fand ich es, dass Shida Bazyar den islamischen Glauben kaum benannt hat. Von einem Roman, der das Leben von Iranern beleuchtet und es veranschaulicht, erwarte ich viel von traditioneller, islamischer Kultur und auch von religiösen Konflikten zu lesen. Doch außer kaum erwähnenswerten islamischen Riten im Alltag der Teheraner, kann ich kaum von derartigem lesen und erfahren. Aus meiner Sicht verliert dieser Roman dadurch sogar ein Stück weit Authentizität.

Trotzdem gelingt es der Autorin in einer fesselnden, atmosphärischen Dichte zu schreiben, wenn man bereit ist, sich auf den anfänglich unrhythmisch wirkenden Schreibstil einzulassen. Literarisch anspruchsvoll zwar, sogar anmutig bis poetisch, aber dennoch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige Mainstream-Leser damit eine wohlige Leseatmosphäre genießen können.

Mit vier individuellen Erzählperspektiven, 1979 Behsad, 1989 Nahid, 1999 Tochter Laleh und 2009 Sohn Morad, greift Shida Bazyar die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Figuren auf. Sie schildert ihre Empfindungen und ihre jeweiligen, kritischen Auseinandersetzungen mit ihrer Herkunft eindringlich, vielschichtig und häufig hoch emotional. Die Figur gebundenen Perspektiven spiegeln auch wider, wie sich die Herkunft, die Kultur und die politische Wertigkeit sowie die Suche nach Identität von Generation zu Generation natürlich verändern. Und doch durchzieht der rote Faden Hoffnung jede Perspektive, dieses literarisch anspruchsvollen und komplexen Werks, die nie aufhört zu klingen.

Nachts ist es leise in Teheran. Tagsüber so laut die Menschen im Haus, so laut ihr Sprechen, wenn es um Unwichtiges, so laut ihr Zögern, wenn es um wichtiges geht. So laut ihr Lachen, ihre Zurufe, so laut ihre Höflichkeitssätze, die sie auswerfen, als wäre es ihr Atem. So laut ihre Präsenz als stoffumhüllte Körper in einem geschützten Raum, so laut das Klappern von Geschirr, beim Kochen, beim Essen, beim Teetrinken, immerzu klappert es silbrig und trocken aneinander. Draußen die Straßen, ein schrecklicher Lärm, die überfüllten Fahrbahnen, das Hupen, trotz der Hupen-verboten-Schilder, das Brüllen und Fluchen der Menschen, die schwere Luft, die den Lärm im Kopf zu verursachen scheint, die Abgase, die man einatmet, das ständige Gefühl, etwas Schweres zu sein und etwas Schweres zu tragen. Die Hände, die immerzu das Kopftuch fassen, die immerzu den Mantel festhalten, die Ärmel runterziehen. Sie sehen schön aus in ihren Kleidern, sie halten sich modern. Ich fühle mich unförmig, ein Gefühl, das vor ein paar Jahren noch Gewohnheit war und das ich, seit die achte Klasse vorbei ist, eigentlich schon vergessen hatte. (Zitat)

Fazit und Bewertung:

Nachts ist es leise in Teheran ist zwar literarisch anspruchsvoll, sogar anmutig bis poetisch, aber auch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige Mainstream-Leser damit eine wohlige Leseatmosphäre genießen können.

Dieses Debüt ist die Geschichte einer iranischen Familie, die die Revolution mit vorantreibt, die gezwungen wird aus ihrer Heimat zu fliehen, die in Deutschland ein Exil findet, die sich anstrengt zu immigrieren und die stetig auf der Suche ist, ihre Identität zu finden.