Rezension

Vater

Sei mir ein Vater
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 2.5 Sternen

Georgette Agutte hatte mit ihrem Beruf als Malerin der Jahrhundertwende zwei Probleme. 
Zum Einen wurde sie wie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen vom Kunstbetrieb nicht wirklich ernst genommen. Man denke nur an so großartige Künstlerinnen wie Berthe Morisot oder Camille Claudel. 

Zum anderen malte sie in der Belle Epoque, der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die auch ziemlich genau ihre Lebenszeit umfasste, zusammen mit einigen der größten Malergenies der Neuzeit. Camille Pissarro, Paul Signac, Pablo Picasso und Henri Matisse - so unterschiedlich ihre Malstile waren, so war ihnen doch ihre Genialität gemeinsam. Eine Qualität und Innovationskraft, der sich Georgette Agutte selbst nie gewachsen fühlte. 
So ist auch ihr Name trotz großer Produktivität und Talent zumal außerhalb Frankreichs fast ganz in Vergessenheit geraten. 
Zu Unrecht, denn sie war eine sehr interessante Person. 
Nicht nur ihre große Leidenschaft für die Malerei, auch ihr Auftreten als moderne Frau ist sehr beeindruckend für die damalige Zeit. Ermöglicht wurde ihr das durch ein künstlerisch geprägtes Elternhaus. Der Vater, der Maler Georges Aguttes, starb leider vor ihrer Geburt. Mit ihrem zweiten Mann, dem Politiker und Sozialisten Marcel Sembat führte sie ein gesellschaftlich sehr aktives Leben und verband sie eine schließlich tragische Liebe und langjährige glückliche Ehe.

Georgette Agutte bildet den einen Mittelpunkt von Anne Geesthuysens Roman. Die Autorin vermag es, den Leser neugierig zu machen auf diese Frau, ihr Leben und die Zeitumstände. Sie verpackt sie in eine leicht lesbare, unterhaltsame Geschichte, auch wenn sie dabei ziemlich an der Oberfläche bleibt.

Leider traut aber Anne Geesthuysen der Strahlkraft von Georgette alleine nicht und kleidet die biografische Erzählung in eine Rahmenhandlung aus der Gegenwart. 
Hier trifft Lillie, eine Nachfahrin der Malerin, in Xanten am Niederrhein ein, wo sie einst Austauschschülerin war und wo der ihr sehr nahe stehende Gastvater schwer an Krebs erkrankt ist. Mit im Gepäck ist ein Bild von Georges Aguttes, ein sehnsuchtsvoller Brief Georgettes an den bereits verstorbenen Vater und eine verrückte Geschichte: Denn kurz vor ihrem Aufbruch ist dieses eigentlich wertlose Bild beinahe geraubt worden. Was hat es damit auf sich? 

Die detektivische Neugier bei Lillie und ihrer Freundin Hanna ist geweckt und auch bei Hermann erwachen neue Lebensgeister. Die drei machen sich auf eine Spurensuche nach Georgette Agutte und einem vielleicht verschollenen Meisterwerk, reisen nach Frankreich, zur Sammlung Agutte-Sembat nach Grenoble und auf die Antillen zu Hannas Vater, dem das Gemälde einst gehörte und zu dem Lillie seit der Kindheit kaum Kontakt hatte.

Die Verflechtung der beiden Zeit- und Handlungsebenen gelingt dabei recht gut, verbindendes Motiv ist neben der Verwandschaftsebene das Motiv des Vaters, den Georgette und Lillie nie hatten und den Hanna im Begriff ist, zu verlieren. 
Allerdings vermag  die "Schatzsuche"kaum Interesse zu wecken. Sie ist derart flach und vorhersehbar erzählt, die Klischees häufen sich und die Charaktere sind einfach nur langweilig. Der Gedanke an diverse Kinderkrimis mit dreifachen Satzzeichen kam mehrfach auf.

Im Nachwort erfährt der Leser, dass einiges an autobiografischem Hintergrund in das Buch eingeflossen ist. Es gibt die Austauschschülerin, ebenfalls verwandt mit der Malerin, es gab die Reise und es gab leider auch die Krankheit des Vaters. 
Und mit diesem Roman wollte Anne Geesthuysen ihm nicht nur ein Denkmal setzen, sondern auch ein alternatives, erfüllteres Ende imaginieren. Das ist rührend und legitim und gelingt in autobiografischen oder biografischen Texten oft sehr gut. Für anspruchsvolle Romane allerdings ist das meist keine gute Ausgangsbasis. Zu nah ist der Autor dann oft seinen Figuren und dem Geschehen.
Schade, denn Georgette Agutte und ihr Leben, ihre Zeit, die eine Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs war, die Künstlerszene in Paris und das tragische Ende einer Ehe hätten einen eigenen, spannenderen Roman verdient.