Rezension

Verbindung von Geschichte und Phantasie

Das Haus zur besonderen Verwendung - John Boyne

Das Haus zur besonderen Verwendung
von John Boyne

1915: Der fünfzehnjährige Georgi lebt in einem kleinen russischen Dorf. Die Lebensumstände sind bedrückend: Bittere Armut, ein jähzorniger Vater, eine lieblose Mutter. Als der Oberbefehlshaber der russischen Armee auf einer Reise durch das Dorf zieht, verhindert Georgi ein Attentat. Zum Dank wird er nach Petersburg berufen und zum Leibwächter des Zarewitsch Alexei ernannt. Voll Staunen entdeckt er eine neue Welt: Reichtum und Prunk, Bildung und Bücher, Eltern, die ihre Kinder lieben (das Zarenpaar). Und auch der junge Mann verliebt sich: In die jüngste Zarentochter Anastasia, die sich gleichfalls zu ihm hingezogen fühlt. Natürlich darf diese Liebe nicht sein, und die beiden müssen sich sehr vorsichtig verhalten.

1981: Georgi lebt in London; seine geliebte Frau Soja liegt mit Krebs im Endstadion im Krankenhaus und wartet auf den Tod. Georgi lässt sein und ihr gemeinsames Leben Revue passieren - seine Kindheit im ärmlichen Dorf, seine Zeit als Leibwächter, die Zeit des ersten Weltkriegs und der russischen Revolution, die Emigration und das Leben in Paris, die Zeit als misstrauisch beäugter Fremde während des zweiten Weltkriegs, den Berufsalltag und das Familienleben mit seinen Höhen und Tiefen in London. 

John Boyne hat zahlreiche Bücher geschrieben; am bekanntesten wurde "Der Junge im gestreiften Pyjama". Auch hier legt er wieder ein Buch vor, dass eine vergangene Epoche aus einer bewegenden Perspektive darstellt. Was er beschreibt, ist so wohl nicht passiert - aber es hätte so geschehen können. Boyne konstruiert glaubhafte Zusammenhänge. Einen Schwachpunkt sehe ich in Georgis Schilderung: Es ist wenig glaubhaft, dass sich ein Bauernjunge so leicht in das Leben am Hofe fügt, sich so gut ausdrücken kann und sich für Bücher interessiert. Davon abgesehen finde ich das Buch sehr ansprechend, denn die Zeit der russischen Revolution wird lebendig. Auch das spätere Alltagsleben in London, das ganz im Kontrast zu dem prunkvollen Hofleben möglichst still und unauffällig gestaltet wird, ist anrührend, besonders die Veränderungen der Beziehung zwischen den Eheleuten. Die Enthüllung am Ende überrascht nicht, aber auch ohne sie ist das Buch lesenswert.