Rezension

Verschenktes Potenzial

Under Ground - S. L. Grey

Under Ground
von S. L. Grey

Um sich vor einem tödlichen Virus zu schützen, dass von Asien in die USA herüberschwappt, fliehen einige reiche Bürger Amerikas ins Sanctum, eine unterirdische Einrichtung mitten in der Wildnis von Maine voller Survival-Luxuswohnungen. Die Einrichtung versorgt sich selbst durch Gemüseanbau und Hühnerzucht, verfügt über einen Aufenthaltsraum und ein Schwimmbad sowie dieverse Wohneinheiten auf mehreren Ebenen. Allerdings ist das Sanctum erst halb fertig, als die Gerüchte über das AOBA-Virus aufkommen, und eigentlich noch nicht richtig betriebsbereit.

Nach und nach lernen wir - mal aus der Ich-Perspektive, mal durch einen personalen Erzähler - die Bewohner der sieben Wohnungen kennen. Da wäre einmal Ich-Erzählerin Gina aus Wohnung 3A, die Tochter der Guthries. Äußert katholisch erzogen, fast schon extremistische Denkweisen und wie der Rest ihrer Familie ein Waffennarr. Der cholerische Vater hat vor dem Einzug ins Sactum die Pferde erschossen, "damit sie nicht verhungern", die Mutter flüchtet sich in ihren Glauben und ihr Bruder Brett gafft (und grabscht) alles an, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Eine durch und durch durchgeknallte und unsympathische Familie.

        "Er beäugt mich so schamlos von Kopf bis Fuß, dass es mir fast den Atem verschlägt. [...] Sein hemmungsloser Blick gleicht dem eines Tiers. Kein Deut höflicher Zurückhaltung."
        (Cait über Brett, Seite 39)

In 2B wohnt der zweite Ich-Erzähler, Jae, Sohn von Stella und Yoo-Jin. Er ist ein Teenager, der Viedeospiele liebt und sich halbwegs gut mit Computern auskennt. Die letzte Ich-Erzählerin ist Cait aus 3B, ein Au-pair Mädchen aus Johannesburg, das von ihrem Gastvater Tyson mehr oder weniger ins Sactum verschleppt wurde, als alle Flüge in ihre Heimat gestrichen wurden, um weiterhin auf die kleine Sarita aufzupassen. Sie war für mich die einzig halbwegs normale Person in diesem Irrenhaus.

Auch aus den übrigen Wohnungen gibt es Erzähler, allerdings aus der personalen Perspektive. Da ist einmal James aus 4A, der mit seiner schicki-micki Freundin Viktoria und ihrem verwöhnten Hund Claudette ins Sanctum gezogen ist. Will Boucher aus 5A, der eigentlich nur Handwerker im Sanctum war und sich noch immer in der Einrichtung befand, als diese abgeriegelt wurde und der eigentlich viel lieber zuhause bei seiner sterbenskranken Frau wäre. Greg, der Erbauer des Sanctums, der auf Ebene 8 lebt. Und Trudi aus 4B, die mit ihrer kranken Mutter Caroline und ihrem aufbrausenden Vater Leo in einer der Wohnungen lebt. Die, so ganz nebenbei, jeweils um die $ 1.500.000 gekostet haben.

Bis auf Will sind alle Bewohner also stinkreich und ein priviligiertes Leben gewöhnt, alle leben in ihrer eigenen schrägen Welt und alle haben irgendwie einen Knall (allen voran der völlig widerliche Brett Guthrie). Kein Wunder also, dass es da zu Konflikten kommt. Vor allem, wenn plötzlich der Strom ausfällt - womit jegliche Kommunikation nach draußen sowie die Möglichkeit, die Luke zu öffnen, versagt - , der Erbauer des Sanctums stirbt und die Essens- und Wasservorräte knappt werden.
Und in diesem Fall führen die Konflikte unweigerlich zu Leichen.

Hört sich eigentlich super spannend an. Aber irgendwie ist der Funke nicht übergesprungen. Vielleicht liegt es daran, dass ich mit keiner Figur mitgefiebert habe und dass mir auch keine so wirklich sympathisch war. Oder an den vielen Perspektivenwechseln. Oder daran, dass ich schon viel zu schnell wusste, wer der Mörder war. Irgendwie konnte die Story mich nicht packen und statt wie gefesselt vor dem Buch zu sitzen, musste ich mich durchbeißen. Hier wurde viel Potenzial verschenkt, Under Ground hätte so viel spannender und düsterer sein können.

(c) Books and Biscuit