Rezension

Verschneite Dystopie

Wie Wölfe im Winter
von Tyrell Johnson

Bewertet mit 4 Sternen

Eine Pandemie hat die Menschheit fast ausgelöscht. Ein Grippevirus hat um sich geschlagen und kaum vor jemanden Halt gemacht. Lynn und ihre Familie haben überlebt. Zurückgezogen kämpfen sie im eingeschneiten Yukon ums Überleben und kommen gut zurecht. Doch dann taucht ein Fremder auf und zeigt ihnen, dass die neue Welt Moral und Menschlichkeit verloren hat. 

„Wie Wölfe im Winter“ ist ein Endzeitroman, der nach dem Ende der Menschheit angesiedelt ist. Die Postapokalypse ist von den Folgen atomarer Verseuchung und Schnee, Angst und dem Kampf um’s Überleben geprägt.

Lynn und ihre Familie haben sich im abgeschiedenen Kanada eingerichtet. Der Alltag gestaltet sich aus Eis, Schnee und der Jagd. Doch eines Tages taucht ein Fremder auf, der ihnen zeigt, dass außerhalb ihres geschützten Bereichs ganz andere Gefahren lauern.

Lynn ist eine junge Frau, die während der Apokalypse aufgewachsen ist. Sie kennt das Leben davor, hat sich jedoch fest vorgenommen, gar nicht an die damaligen Annehmlichkeiten zu denken. Ihr Alltag ist von der Jagd mit Pfeil und Bogen geprägt. Eher am Rande wird das Zusammenleben mit ihrer Mutter und den anderen Familienmitgliedern erwähnt. Lynn sehnt sich danach, eigene Wege zu gehen. Sie möchte wissen, wie sich die Welt außerhalb ihres Horizonts entwickelt hat und ob die Grippe nach wie vor eine Gefahr darstellt. Diese Wünsche haben einen bitteren Beigeschmack, weil sie dafür ihre Familie verlassen müsste.

Während Lynn sinniert, wie und ob sie die kleine Gemeinschaft verlassen soll, hat der Fremde sofort ihr Interesse geweckt. Er ist still, er ist ruhig und weiß anscheinend viel mehr über die Welt als er erzählen will.

Eine besondere Nebenfigur ist ein Wolf, der einen emotionalen Bezug zum Geschehen geschaffen hat. Hier habe ich mich an Jack Londons „Wolfslbut“ erinnert, wobei die Geschichten vom Ablauf her nicht vergleichbar sind. 

Die Handlung an sich ist ruhig gehalten, steuert allerdings auf einen wissenschaftlichen Höhepunkt zu. Lynns Vater war Biologie und war unter anderem mit der Forschung am Grippevirus betraut. Langsam ahnt Lynn, dass sie nicht alles vom Vater weiß, und blickt immer wieder in ihre Kindheit zurück. 

Daher ist die Handlung in den gegenwärtigen Teil und Lynns Kindheitserinnerungen unterteilt. Einerseits verleiht dies dem Geschehen einen geheimnisvollen Grundton, weil man ahnt, dass etwas im Argen liegt. Andrerseits hat mich die Trauer um ihren Vater etwas gestört, weil sie gar so vehement in den Vordergrund drängt. Sein Tod ist schon etliche Jahre her, deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass all diese Gefühle ständig so präsent sind.

Die winterliche Atmosphäre hat mich Frieren lassen! Aufgrund atomarer Zerstörung lebt die Menschheit mit langen Wintern und sehr kurzen Sommern. Johnson beschreibt den klaren Himmel, die weiße Pracht und den rauen Wind mit einer Eindringlichkeit, die mir vor Kälte einen Schauer über den Rücken gejagt hat. Natürlich sind die Überlebenden mittlerweile Profis im Umgang damit und haben etliche hilfreiche Techniken - wie zum Beispiel den Iglu-Bau - gelernt. 

Insgesamt hätte die Handlung etwas mehr Schwung vertragen können, weil sie doch sehr in den Gedanken der Protagonistin hängt und damit manchmal unter der Schneedecke versinkt. Dennoch ist diese Dystopie bzw. diese Postapokalpyse sehr lesenswert. Es ist ein Untergang der leisen Töne, der die Welt unter der weißen Pracht verschwinden lässt.