Rezension

Verstörende Vergangenheitsgeschichte

The Girls - Emma Cline

The Girls
von Emma Cline

Bewertet mit 4 Sternen

Evie Boyd ist noch ein Teenager und gerade einmal vierzehn Jahre alt. Ihre Eltern trennen sich. Evies Vater lebt mit der wesentlich jüngeren Tamar zusammen. Ihre Mutter lebt aktuell mit Frank zusammen. Und dann ist Evie mit ihrer Mitschülerin Connie befreundet. Man könnte im ersten Augenblick denken, es ist eine durchschnittliche amerikanische Familie. Nein, es ist Sommer im Jahr 1969. Das Jahr des Sex, Drugs and Rock’n Roll. Evie lebt bei ihrer Mutter, fühlt sich bei immer weniger wohl seitdem Frank mit ihnen in einem Haus zusammenleben. Durch Zufall trifft sie Suzanne beim Einkaufen. Suzanne wirkt anders als Evies Mutter oder andere Frauen. Evie fasziniert diese Frau. Durch eine Art Mutprobe gelingt es Evie Anschluss an Suzanne und den anderen Frauen zu bekommen, mit denen Suzanne draußen auf einer Ranch lebt. Außerdem lebt dort noch Russel, dem das Haus gehört und wechselnde Sexualkontakte mit den dort lebenden Frauen hat. Das Leben wirkt spartanisch, dennoch fühlt sich Evie dort hingezogen. Endlich wird Evie wahrgenommen, was sie im Elternhaus vermisst. Aber diese Erfahrungen auf der Ranch bleiben nicht ohne Risiko.

Emma Cline gelingt es in ihrem ersten Roman eine Atmosphäre zu schaffen, die einer Vorstellung von Leben in den 1960er Jahren gleichen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Die Menschen damals, die in den Tag hineingelebt haben, und deren Tagesrythmus aus Schlafen, Drogenkonsum und Gelegenheitsaufgaben bestand, bekommen hier diesen sogenannten Hippie-Touch. Bei dieser Geschichte stellt man sich häufig das Leben in Sekten vor, bei denen ein charismatischer Anführer – hier Russel – den Alltag dirigiert. Berauscht von unterschiedlichen Drogen können diese Menschen keinen Alltag wie andere Menschen, die ihrer Arbeit und Privatleben mit Familie nachgehen. Suzanne und die anderen Frauen spiegeln diese Lebenskultur wider. Evie scheint die pubertierende Tochter zu sein, die zu Hause rebelliert und auf der Ranch von Russel Anerkennung bekommt. Evies Mutter mit wechselnden Partnern ist nicht gerade das passende Vorbild für Evie. Ihr Vater lebt mit einer wesentlich jüngeren Frau zusammen. Tamar versucht zumindest sich in Evie hineinzuversetzen. Diese Geschichte wird aber nicht nur aus dem Jahr 1969 erzählt, sondern auch aus der Gegenwart. Denn Jahre später wirken die Ereignisse auf der Ranch noch nach.

Dieser Roman wirkt teilweise verstörend, weil man sich ein Leben, das von von-der-Hand-in-den-Mund-leben, Dreck, Drogen und sexuellen Praktiken geprägt ist, nicht vorstellen kann. Aber das wiederum die Genialität der Autorin, dass sie die Leserschaft dazu bringt, wütend oder traurig über die Lebensumstände der Figuren in diesem Roman zu sein. Manchmal scheinen die Szenen grenzwärtig, denn juristisch gesehen kann man von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen ausgehen. Da ich den Roman vor einigen Monaten im Original gelesen habe, fand ich die deutsche Übersetzung milder und nachvollziehbarer als in der Originalverfassung, die wesentlich härter wirkte.