Rezension

Verstörender Thriller

Die Zelle - Jonas Winner

Die Zelle
von Jonas Winner

Bewertet mit 4 Sternen

Die Familie Grossman – Vater Nathan, Mutter Becky, Bruder Linus und Sammy (genannt Sam) – ziehen mit der jungen Au-pair-Frau Hannah von London nach Berlin-Grunewald. Nathan Grossman komponiert Filmmusik eher für Videofilme als für große Filme der Kinoleinwand. Mutter Becky verbringt ihre Zeit hauptsächlich als Sängerin bei Proben in der Stadt. Somit verbringen der ältere Sohn Linus und sein jüngerer Bruder Sam ihre Ferien gemeinsam mit Hannah in der großen jahrzehntealten Villa. Allerdings konnte Linus bereits neue Freunde gewinnen, weil er vor den Ferien schon in Berlin in eine neue Schule ging. Sam langweilt sich, weil er noch keine neuen Freunde gefunden hat. Somit erkundet er den großen Garten hinter der Villa. Dabei findet er eine alte Holzhütte. Seinen Vater sah er auch bereits an der Hütte, was seine Neugier weckte. An einem Ferientag geht er in diese Hütte, und findet dort eine Falltür vor, die in einen Kellertunnel führt. Als er einen Raum mit Guckloch entdeckt, dort durchschaut, kann er nicht glauben, was er dort sieht. Ein Mädchen liegt nackt auf dem Boden. Einige Tage später lernt er das Nachbarmädchen Marina kennen, der Sam den Raum mit dem Guckloch zeigt. Kurz darauf ist Marina verschwunden.

Jonas Winner gelingt es, die Leserschaft mit seiner Spannung am Ball zu halten, allerdings wirkt der Hauptprotagonist Sammy Grossman eher wie ein Grundschüler im Alter von sechs bis acht Jahren als ein elfjähriger Junge. Immer wieder versucht Sammy seinen Bruder, seine Mutter oder seinem Vater ein Gespräch auf den Kellerraum mit dem Guckloch voran zu bringen, aber seine für-und-wieder-Gedanken halten ihn ab. Im Laufe der Geschichte schildert der Autor ähnliche Situationen mit diesem zögerlichen Verhalten von Sammy. Meines Erachtens lenkt der Autor zu viel Beachtung auf dieses Verhalten. Dafür wäre es interessanter gewesen, wenn man über die Vergangenheit des Vaters mehr erfährt, die die Mutter gegenüber Sammy erwähnt. Mutter Becky stellt eine in ihrem künstlerischen Beruf stark eingebundene Mutter dar, aber sie nimmt sich dennoch ihre wenige Zeit für Sammy, und wirkt dabei fürsorglich. Vater Nathan verbringt seine Zeit überwiegend zu Hause in seinem Arbeitszimmer, wirkt aber aufgrund seiner weniger erfolgreiche Karriere als Filmmusiker deprimiert und zurückgezogen. Linus geht seine eigenen Wege mittlerweile, und interessiert sich relativ wenig für seinen jüngeren Bruder. Jonas Winner versteht es, die Leserschaft zu verwirren, weil man sich nicht sicher ist, ob der Hauptprotagonist Sammy sich seine Beobachtungen einbildet, oder ob er sie wirklich gesehen hat.

Ein zu Beginn harmlose Familiengeschichte bekommt Risse als der Jüngste der Familie ausrastet. Mir gefielen die psychologischen Nuancen, die eher zwischen den Zeilen zu lesen waren. Das Augenmerk liegt schon auf Sammy, aber andere Figuren bringen Unsicherheit in Sammys Leben, dadurch wirkt der Thriller aufgrund der vermeintlich Schuldigen und Nicht-Schuldigen spannend. Die Idee hinter der Geschichte gefiel mir sehr gut bis auf die oben erwähnten Versuche Sammys seinerseits, seine Wahrnehmungen zur Sprache zu bringen, und immer wieder dabei hadert. Das Hadern beziehungsweise seine zögerlichen Versuche bremsen ab einen gewissen Punkt die Spannung aus.