Rezension

Verzaubert im Spreewald

Nebelsilber - Tanja Heitmann

Nebelsilber
von Tanja Heitmann

Die siebzehnjährige Edie befindet sich in einer schwierigen Lebenssituation und flieht regelrecht aus der Stadt aufs Land, in das beschauliche Örtchen Wasserruh inmitten des Spreewalds. Hier will sie gemeinsam mit ihrem Vater ein neues Leben in einem alten, einsamen Bauernhaus anfangen. Doch der geheimnisvolle Spreewald lässt Edie nicht zur Ruhe kommen; mit ihrer verborgenen Gabe, dem zweiten Gesicht, nimmt sie vieles wahr, was für sie unerklärlich ist. Und eines Tages lockt ihr Herzschlag einen jungen Mann aus dem Wald, der seit vielen Jahren als verschollen galt. 

Für die Dorfbewohner eine Sensation, ist die Rückkehr von Silas für seine Familie eher eine Belastung und für Edie ein Mysterium, das sie unbedingt aufklären will. Der junge Mann, der sich an nichts erinnern kann, hat seine Kindheit und Jugend in den Nachtschatten verbracht, im Reich des geheimnisvollen Erlenkönigs. Mehr und mehr fühlt sich Edie zu ihm hingezogen, immer unsicher, ob sie ihm tatsächlich trauen kann. Was hat er in den Nachtschatten wohl erlebt? Und will der Erlenkönig ihn zurück in sein Reich holen? 

Edie bekommt unerwartete Unterstützung in zweierlei Hinsicht; in der realen Welt hat sie ihre neuen Freunde Marischka und Addo, die ihr treu zur Seite stehen und sie erden. Außerdem lernt sie ihre Nachbarin Rodriga kennen, die ihr eine wertvolle Ratgeberin im Zusammenhang mit ihrer Gabe wird und ihr die Mythen und Legenden des Spreewalds näher bringt, denn sie scheinen der Schlüssel zu Silas Verschwinden und Wiederauftauchen zu sein. 

Trotzdem gerät Edie sehr bald in einen Strudel von Ereignissen, die sie zweifeln lassen, wer auf ihrer Seite ist - und die am Ende unmissverständlich den Weg in die Nachtschatten weisen...

Wer an diese Geschichte rational herangeht, hat schon verloren; denn Tanja Heitmann ist eindeutig eine Autorin für LeserInnen einer phantastischen Lesart. Sie schafft es mit ihrem eindringlichen und poetischen Schreibstil wunderbar, Bilder und Stimmungen zu zaubern. Mich hatte sie damit schon auf den ersten Seiten an der Angel, und das schöne Lesegefühl blieb mir auch bis zum Ende. 

Auch mit den Figuren konnte ich sehr viel anfangen; sie sind lebendig und lebensecht, interessant und vielschichtig gezeichnet. Edie wird als Teenagerin dargestellt, die mit den typischen Problemen dieser Altersgruppe kämpft, zusätzlich zu ihrer ganz speziellen phantastischen Persönlichkeitsseite. Die zarte Liebesgeschichte zwischen ihr und Silas wird sehr einfühlsam erzählt, so dass die jugendliche Zielgruppe damit gut zurecht kommen sollte. 

Über was Schreibstil und Figuren aber nicht ganz hinweghelfen können, sind die kleinen Mängel im Plot. Tanja Heitmann lässt sich am Anfang sehr viel Zeit mit ihrer Geschichte und führt die LeserInnen wirklich intensiv in Edies Welt und die Geheimnisse der Spreewalds ein, das hat mir sehr gut gefallen. Deswegen hätte ich mir auch gewünscht, dass das Ende ebenso sorgfältig und ausführlich behandelt wird. Stattdessen wird hier plötzlich ziemlich Gas gegeben und die Auflösung des Rätsel ziemlich unelegant auf dem Silbertablett serviert. Unabhängig davon fand ich es ziemlich Klasse, wie sie die Geschichte enden ließ - aber ich hätte es eben gerne noch ein bisschen ausgeschmückter gehabt; so empfand ich die Handlung etwas unausgewogen im Verhältnis zwischen den ersten zwei Dritteln und dem letzten Drittel des Buches.

Trotz dieses Kritikpunktes mochte ich das Buch über die ganze Länge hinweg sehr gerne und habe das Lesen sehr genossen. Eine klare Leseempfehlung für LiebhaberInnnen des Genres und LeserInnen, die gerne emotional und weniger rational lesen.