Rezension

Verzweiflung der Nachkriegszeit

Trümmerkind
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 4 Sternen

Hamburg, 1946/47. Der 2. Weltkrieg ist vorbei und Hamburg ist zerstört. Tausende Menschen sind in den Trümmern der Stadt mit dem täglichen Überlebenskampf konfrontiert. Da findet der 14jährige Hanno eine nackte Frauenleiche. Wenige Schritte von ihr entfernt ist ein kleiner Junge, den er kurzerhand mit nachhause nimmt. Der Kleine wird fortan Joost genannt, weil er kein Wort über die Lippen bringt. 

„Trümmerkind“ ist ein historischer Roman, der in der Nachkriegszeit des 2. Weltkriegs in Hamburg spielt. Dabei greift die Autorin wahre Begebenheiten auf und verarbeitet sie zu einer fiktiven Geschichte.

Die Handlung ist in drei Erzählstränge unterteilt, wovon zwei unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg angesiedelt sind. Es geht nicht nur um Hanno und seine Familie in Hamburg, sondern auch um Clara Anquist und wie sie von ihrem Gut aus der russischen Besatzungszone fliehen muss. Eine weiterer Handlungsstrang findet in den frühen 1990er-Jahren statt, wo Lehrerin Anna einem gut gehüteten Geheimnis auf die Schliche kommt.

Der 14jährige Hanno bringt sich und seine Familie einigermaßen durch. Er stöbert in den Trümmern nach Brauchbarem, um es am Schwarzmarkt zu verkaufen. Seit der Vater in den Krieg gezogen ist, fühlt er sich als Mann im Haus. Diesem Verantwortungsgefühl ist es wohl auch geschuldet, dass er den kleinen Joost aufklaubt, weil er ihn nicht allein in den Trümmern lassen will.

Clara Anquist ist eine Frau in den 20ern. Sie hat mit ihrer Familie auf einem ansehnlichen Gut am Land gelebt. Mit dem Ende des Krieges kommen die Russen in die Region und nehmen sich alles, was ihnen ihres Erachtens zusteht. Clara merkt, dass es in ihrer Heimat keine Zukunft für sie gibt und geht die Flucht Richtung Spanien an.

Anna ist Lehrerin. Ihre Generation hat den Krieg und seine Nachwehen längst hinter sich. Dennoch nagen ihr Gewissen und die Sorge um ihre Mutter an ihr. Die Mutter spricht niemals vom Kriegsgeschehen und Anna ahnt, dass sie etwas zu verbergen hat.

Thematisch hält sich die Autorin an den Wirren der Nachkiegszeit fest. Dabei nimmt sie die Trümmermorde aus dem Winter 1946/47 als Grundlage und überlegt, was damals geschehen sein kann. Denn in den Trümmern von Hamburg wurden damals tatsächlich vier nackte Leichen gefunden, deren Ermordung niemals aufgeklärt wurde.

Mir gefällt, dass Mechthild Borrmann diese Morde aus dem Sog des Vergessens zieht und damit Bewusstsein für den harten Winter, die umgreifende Armut und die Verzweiflung der Menschen schafft.

Die Handlung ist nachvollziehbar, baut sich langsam auf und spielt mit spannenden Momenten. Am Ende trumpft Mechthild Borrmann noch mit einer Überraschung auf, die ich so nicht erahnt hätte.

Mir hat es etwas an atomsphärischer Dichte gefehlt, einige Stimmungen und Ereignisse wurden mir zu distanziert beschrieben. Manche Szenen werden nur angedeutet und enden abrupt, obwohl hier mehr Hintergründe interessant gewesen wären. Dafür wirkt „Trümmerkind“ äußerst authentisch, weil genau diese Aussparungen Wissenslücken vermuten lassen. Zum Schluss habe ich sogar gezweifelt, ob es nicht doch die Beschreibung einer wahren Begebenheit ist, weil es durch den nüchternen Erzählstil tatsächlich so wirkt.

„Trümmerkind“ von Mechthild Borrmann ist ein guter historischer Roman, der auf die Trümmermorde Hamburgs aufmerksam macht, den Blick auf die Verzweiflung der Nachkriegszeit richtet und das harte Leben der damaligen Menschen vor Augen führt. Bei Interesse sollte dieser Roman unbedingt gelesen werden!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. März 2018 um 14:47

Gute Rezi. Fast möchte ich es auch lesen. Aber: Zweiter Weltkrieg ist ein Eigenname! Manno. Was lernt ihr denn in der Schule?

NiWa kommentierte am 10. März 2018 um 15:44

Wie gut, dass ich hier keinen Deutschaufsatz geschrieben habe. Meine Schulzeit ist schon eine Weile her. ;)