Rezension

Viele phantastische Idee, die leider alle irgendwie zu kurz kamen

Die Seiten der Welt
von Kai Meyer

Bewertet mit 3.5 Sternen

3,5 Sterne

Dort draußen war die weite Welt, laut und schrill und tanzend, aber die Faerfax lebten in der Abgeschiedenheit der Cotswolds, in der Stille der Bücher, verborgen vor den Agenten der Akademie. S. 32

Klappentext

Furia Salamandra Faerfax lebt in einer Welt der Bücher. Der Landsitz ihrer Familie birgt eine unendliche Bibliothek. In ihren Tiefen ist Furia auf der Suche nach einem ganz besonderen Buch: ihrem Seelenbuch. Mit ihm will sie die Magie und die Macht der Worte entfesseln.
Doch dann wird ihr Bruder entführt, und Furia muss um sein Leben kämpfen. Ihr Weg führt sie nach Libropolis, die Stadt der verschwundenen Buchläden, und an die Grenzen der Nachtrefugien. Sie trifft auf Cat, die Diebin im Exil, und Finnian, den Rebellen. Gemeinsam ziehen sie in den Krieg – gegen die Herrscher der Bibliomantik und die Entschreibung aller Bücher.

Meine Meinung

Der Buchtrailer ist wunderschön, die Musik, die Farben, die Stimme ... genauso wie das Cover und der Klappentext verspricht er vieles an Magie, die zwischen den Seiten von Büchern verborgen ist. Leider hat sie sich auch ein bisschen vor mir versteckt.
Dem Buch lag ein Lesezeichen bei mit dem schönen Aufdruck "Libropolis" - eine Eintrittskarte in eines der Refugien der Bibliomanten mitten in London. Eine Stadt der Bücher, ein Sammelsurium an Buchhandlungen und Antiquariaten, bei denen man wirklich ALLES finden kann.

In dieser Geschichte kann man auch sehr viel finden: Magie, Machtkämpfe, Revolution, Geheimnisse, Freundschaft, Liebe ... es wird gemordet, verfolgt und geflüchtet und trotz, oder gerade durch das hohe Tempo und die Vielfalt habe ich nicht so gut in das Buch reingefunden.

Der Schreibstil war wieder mal richtig gut! Zwischen einem temporeichen, jugendlichen Stil gab es immer wieder wunderschöne Beschreibungen und Wortspiele, die mich kurz innehalten ließen. Ich hab für meine Verhältnisse etwas länger für das Buch gebraucht. Der Anfang klang für mich recht vielversprechend, die Entwicklung war allerdings völlig anders, als ich erwartet hatte.

Es geht um die 15jährige Furia Salamandra Faerfax und ihren kleinen Bruder Pip, die bei ihrem Vater auf einem großen Anwesen in der Nähe von London leben. Sie haben kaum Kontakt zur "Außenwelt", da sie sich vor den Agenten der Adamistischen Akademie verstecken müssen. Ihr Vater, Tiberius Faerfax, ist ein Bibliomant und gehört somit zu den geheimen Buchmagiern, die durch ihr Seelenbuch Zauber und große Macht ausüben können. Furia hat diese Gabe geerbt, doch ihr Seelenbuch hat sie bisher noch nicht gefunden.
In den Katakomben unterhalb der Residenz gibt es eine riesige Bibliothek, in der Furia trotz des Verbots ihres Vaters gerne herumstreunt - denn es gibt nicht nur ein weit verzweigtes Labyrinth aus Bücherregalen, in dem man sich leicht verirren kann, sondern auch gefährliche Schimmelrochen und Metapherngas.

"Sie war aufgeregt, das war sie immer, wenn sie die Bibliothek betrat. Dennoch weigerte sie sich, Angst zu haben. Meist hatte sie damit Erfolg." S. 15

Furias Mutter ist bei Pips Geburt gestorben und seitdem ist ihr Vater nicht mehr derselbe. Sorgenvoll und ernst hat er sich zur Aufgabe gemacht, Furia alles über die Bibliomantie beizubringen. Er nimmt sie mit auf die Jagd nach den "Leeren Büchern", die ihr Leben und die Magie der Bücher bedrohen. Vergisst dabei aber den kleinen Pip, der keinerlei magische Fähigkeiten besitzt.

Furia ist neugierig und eigenwillig, nimmt die Dinge selbst in die Hand und lässt sich nicht so leicht unterkriegen - auch als die Ereignisse sich zu überschlagen beginnen. Die "Umgarnte", eine Auftragsmörderin" ist hinter ihr her und plötzlich steht das junge Mädchen Herausforderungen gegenüber, denen sie kaum gewachsen ist. Durch ihr bisher behütetes und abgeschiedenes Leben stürmt die Realität regelrecht auf sie ein und sie kann sich glücklich schätzen, auf ihrer Flucht Verbündete zu finden. Obwohl Furia weiß, dass ihr Vater viel vor ihr geheim gehalten hat, glaubt sie, alles zu durchschauen und wirkte dadurch an manchen Stellen naiv und besserwisserisch zugleich.
Die Emotionen haben mir hier etwas gefehlt, denn ich konnte nicht wirklich mit Furia mitfühlen. Auch gefiel mir ihre Reaktion nicht so gut, als die Macht der Bücher in ihr erwacht; was aber vielleicht auch daran lag, dass sehr wenig erklärt wurde. Überhaupt wird man sehr schnell mit sehr vielen Veränderungen, neuen Schauplätzen und Umständen konfrontiert, ohne dass man das Ganze wirklich verinnerlichen kann.

Eines der Refugien der Bibliomanten, die Bücherstadt Libropolis, hatte ich mir etwas freundlicher und wärmer vorgestellt. Hier trifft Furia auf Cat, ein einsames Mädchen, dass sich mit Diebstählen über die Runden bringt und Finnian (genialer Name), der in der Gärtnerei zerstörte Bücher zu einem Wald aus Bäumen heranwachsen lässt. Die beiden mochte ich sehr gerne, hätte aber wie bei allen anderen Figuren auch gerne mehr über sie erfahren.

Die Kapitel sind kurz gehalten und haben oft Cliffhanger am Ende, die mich weitergetrieben haben. Es gibt spannende Momente und stellenweise auch brutale Szenen, die den magischen Zauber in den Hintergrund gerückt haben.
In all der Fülle an phantastischen Wesen, magischen Ideen und verwunschenen Orten stecken aber auch einige hintergründige Fragen: Was macht man gegen ein korruptes System? Gegen Machthaber, die eine Diktatur entwickelt haben und welche Mittel sind gerechtfertigt, um sich daraus zu befreien? Und kann man in einer so großen Gesellschaft wirklich allen Menschen gerecht werden?

"Nur Freiheit", sagte Finnian. "Ohne Wenn und Aber. Ohne Wofür und Wozu. Einfach nur zu wissen, dass einen keiner dafür verurteilt, was man ist oder nicht ist." S. 358

Große Fragen, die durch die Komprimiertheit der ganzen Geschichte etwas untergegangen sind wie so einiges andere. Manchmal fühlte ich mich wie Furia durch die Handlung gejagt und hab immer wieder das Gefühl vermisst, in das Buch so richtig eintauchen zu können.

Fazit

Ich finde das hohe Tempo doch etwas schade, das mich durch diese Geschichte gejagt hat. So viele Impulse und magische Ideen, die etwas mehr Zeit gebraucht und Wirkung hätten entfalten können. Insgesamt wirklich schön geschrieben, interessante Charaktere und ein tiefgründiger Hintergrund - aber alles kam irgendwie zu kurz.

© Aleshanee
Weltenwanderer