Rezension

vielschichtig

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
von Milan Kundera

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dies Buch ist so vielschichtig, dass mir eine Rezension zum ersten Mal richtig schwer fällt. Auch hat es sehr gemischte Gefühle ausgelöst. Von manchen Gedanken war ich sehr angetan. Vieles machte nachdenklich. Manches erschütterte. Einiges habe ich mir rausgeschrieben, weil ich zu wichtig fand, um es zu vergessen. Und anderes fand ich so abstoßend, dass ich den ganzen guten Eindruck des Buches in Frage gestellte habe. Wieder andere Dinge fand ich zutiefst verstörend.

Zum Inhalt : Die Geschichte spielt in Tschechien zur Zeit der Russischen Okkupation (1968). Tomas, ein Arzt, ist mit Teresa verheiratet, hat aber viele Geliebte. Vor allem mit Sabina hat er eine längere Affaire. Sie wiederum ist im Laufe der Geschichte mit Franz zusammen. Erzählt wird das Ganze aus den verschiedenen Perspektiven der Figuren und der des Autors, sodass man einen tiefen Eindruck gewinnt, von der Gedanken- und Gefühlswelt der Personen, sowie ihre Entwicklung. Es findet ein ständiger Wechsel von Zeiten und Rückblicken, Vorschauen, Träumen und Gegenwart statt, die aber nicht verwirren. Man kann trotz dieser Zeitsprünge dem Geschehen sehr gut folgen.

Dies Buch ist einerseits sehr politisch, andererseits werden die Beziehungen der Personen bis ins kleinste Detail philosophisch analysiert, und dann folgt wieder spannende Handlung. Trotzdem ist es nicht chaotisch, sondern läßt sich wunderbar lesen.

Erschütternd fand ich, wie die Radioansprache von Dubcek geschildert wird, der nach 6 Tagen Haft kaum noch sprechen kann, so zugerichtet war er. Auch sonst wird immer wieder Bezug auf die geschichtlichen Ereignissen dieser Zeit in Prag genommen. Es wird z.B. erwähnt, wie in allen Städten sämtliche Straßenschilder über Nacht verschwanden als die Russen einmarschierten und diese somit eine Woche lang umher irrten, ohne zu wissen, wo sie waren oder die strategisch wichtigen Gebäude (z.B. Rundfunk und Fernsehen) zu finden. Aber die historischen Geschehnisse sind nicht nur Kulisse, sondern haben auch Einfluß auf das Leben der Figuren. So darf Tomas nicht länger als Arzt praktizieren und wird Fensterputzer. Durch sein Schicksal wird deutlich, wie perfide die Methoden der Besatzer sind, um Leute zu zwingen, das zu tun, was ihnen im innersten (aus moralischen, ethischen oder Loyalitätsgründen) widerstrebt. Das Regime bringt die Leute in eine ausweglose Situation. Um sich selbst zu retten (Job, Wohnung, Ansehen oder auch das Leben selbst), muß man andere fälschlich beschuldigen und somit seine Ehre, seinen Anstand, seine Selbstachtung und seine Seele verkaufen. Dadurch, dass immer mehr Menschen gezwungen werden, Statements oder Dementi zu unterschreiben und somit andere zu denunzieren, kommt es zu einer gezielten, systematischen Demoralisierung des Volkes. Und diejenigen, die versuchen sich dem entgegen zu stellen, indem sie z.B. Unteschriften sammeln, um politische Gefangene zu befreien, wissen, dass sie nichts erreichen werden. Sie stehen also "vor der Wahl : entweder Theater zu spielen oder gar nichts zu tun ". (S. 256). Schlimm fand ich auch die Schilderung, wie das Volk in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde, um Hemmschwellen abzubauen, die Aggressivität zu fördern und zu lenken und diese Kampagne (zunächst nur gegen Tiere z.B. Hunde) von den Zeitungen geschürt wurde. Es ist echt erschreckend, wie einfach das geht und das Buch ist daher immer noch ziemlich aktuell.

Wie gesagt, wird die Geschichte aus der Sicht der verschiedenen Personen, aber auch der des Autors erzählt. Sei es, dass der Autor einige Seiten einschiebt, wo er detailiert erklärt, was einzelne Begriffe für Sabina und für Franz bedeuten (z.B. Frau, Musik, Friedhof) und weshalb dies so ist, sei es, dass er philosophische Betrachtungen anstellt, warum seine Figuren so handeln.  An einer Stelle schreibt er, dass die Personen seines Romans seine eigenen Möglichkeiten seien, die sich nicht verwirklicht haben. Manchmal mischt er auch die Erzählweisen: " Einige Tage später fiel Tomas ein Gedanke ein, den ich als Ergänzung zum vorigen Kapitel hier anführen will :..." (S.215).  Dieser Schreibstil hat mir sehr gefallen, denn er ist dem Autor unglaublich gut gelungen und bereichert das Buch.

Was mich ein wenig verstört hat, ist die Mutter von Teresa und wie sie sich in ihr gegenüber verhalten hat. Teresas daraus resultierende Alpträume werden ausführlich analysiert und da die Mutter Teresa sehr geprägt hat, sind sie in den verschiedensten Situationen immer wieder Thema. Was mich sehr verstört hat, ist eine Szene, in der Tomas Teresa einen Berg hochschickt, wo ein Mann Menschen erschießt, die Selbstmord begehen wollen. Dies ist die einzige Stelle, wo ich nicht sicher bin, ob ein Traum oder Wirklichkeit geschildert wird. Mit keinem Wort wird angedeutet, es könne ein Traum sein, aber wenn das die Wirklichkeit ist, dann will ich dies gar nicht wahrhaben. Völlig daneben fand ich die seitenlange philosophische Abhandlung über Sch... und die Frage, ob Gott auch Darmtätigkeit hat, wo er uns doch nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Da hätte ich das Buch am liebsten weggelegt und nicht weiter gelesen. Den Sch... hätte er sich echt schenken können.

Dies ist absolut nicht mein Genre (bin Krimifan), aber es war interessant, lies sich gut lesen und hatte einen ungewöhnlichen Schreibstil, der mir sehr gefiel. Der Klappentext besagt, es sei "einer der witzigsten und intelligentesten Romane", der "höchste inrellektuelle Ansprüche befriedigt." Dem kann ich mich allerdings nicht anschließen. Dennoch kann ich dies Buch empfehlen.