Rezension

Vier Jugendliche aus vier kaputten Familien, so verschieden wie Feuer und Wasser, unterwegs zum Meer

Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer - Melissa C. Feurer

Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer
von Melissa C. Feurer

Vier Jugendliche aus vier kaputten Familien, so verschieden wie Feuer und Wasser, unterwegs zum Meer

„Es gibt so viel Mist auf der Welt. Und die schlimmsten Dinge passieren in Familien. Diese glücklichen, netten Familien mit Vater, Mutter und zwei Musterkindern, die sich alle anstrahlen, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt – die gibt es doch nur auf Müslipackungen!“ (Lars)

Der Halbwaise Lars glaubt nicht an eine heile Familienwelt. Er lebt bei seinem gewalttätigen alkoholkranken Vater, ist ein unscheinbarer und feinfühliger Junge, der sich hart und abweisend gibt und keine Freunde hat. In der Schule vermeidet er es konsequent, aufzufallen und wird von den meisten einfach übersehen. Lars ist ruhig, mag keinen Lärm, und hält sich tunlichst aus allem raus.

Nele Zimmermann ist unsportlich und mollig, hat ebenso wie Lars keine Freunde und wird als unbeliebte Schülerin in ihrer Klasse gemobbt. Als braves Mädchen aus christlichem Elternhaus, deren Vater kürzlich die Familie verlassen hat und mit seiner neuen Freundin im Norden des Landes lebt, stellt sie ein begehrtes Zielobjekt für die Schikanen ihrer Mitschüler dar. Das Selbstbewusstsein des warmherzigen und einfühlsamen Scheidungskindes leidet fürchterlich unter dieser Situation, und als sie wieder einmal von ihren Mitschülerinnen grausam gehänselt und gekränkt wird, kommt ihr völlig unerwartet Lars zu Hilfe.

Der ruhelose Einzelgänger Noah ist bereits seit seinem achtzehnten Geburtstag auf der Straße unterwegs. Eine zottige Mischlingshündin namens Cassiopeia begleitet ihn auf seiner Wanderschaft. Als der Hund in Karlstadt von einem Auto angefahren wird, ist Lars zufällig Zeuge dieses Zwischenfalls. Er hilft Noah, das Tier zu verarzten und besorgt den beiden eine Unterkunft. Der charismatische und stets gut gelaunte Noah erzählt Lars von seinem nächsten Ziel und lädt Lars spontan ein, ihn auf seiner Wanderschaft zur Nordsee zu begleiten. Durch einen Zwischenfall in der Schule eskaliert schließlich die Lage in Karlstadt und Lars packt tatsächlich seinen Rucksack. Er beschließt, abzuhauen und sich dem gewalttätigen Einfluss seines Vaters zu entziehen. Zugleich spitzen sich jedoch auch bei Nele die Dinge zu, bei ihr bahnt sich ebenfalls eine Katastrophe an. Als sich unterwegs auch noch Noahs Bekannte Angel zum Trio gesellt, sind kurz darauf vier Jugendliche und ein Hund unterwegs zum Meer.

Melissa C. Feurer erzählt in diesem beeindruckenden Jugendbuch die traurigen Geschichten von vier jungen Menschen, deren hervorragende Charakterisierung sie dem Leser sofort ans Herz wachsen lässt. Die vier Protagonisten sind grundverschieden, haben jeder für sich einen Grund, abzuhauen. Die Wanderschaft stellt sich alles andere als einfach heraus. Nicht nur mangelnder Komfort, Hunger und die Suche nach Schlafplätzen machen ihnen zu schaffen, sondern auch ihre seelischen Wunden. Während ihrer Reise unterwegs zum Meer müssen sie sich ihren Gefühlen stellen. Das Verarbeiten ihrer Probleme und der damit einhergehende Veränderungsprozess werden von der Autorin eindrucksvoll beschrieben. Die handelnden Figuren sind vielschichtig dargestellt. Noah hält die ganze Gruppe zusammen und trägt dazu bei, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Die harten Fassaden der Jugendlichen bröckeln langsam, und der Weg zum Meer wird zugleich auch zu einem Weg der Selbstfindung und Heilung.

Der Schreibstil der Autorin ist äußerst einnehmend. Behutsam und mit viel Feingefühl tastet sie sich nach und nach an die Probleme ihrer Figuren heran, offenbart in kleinen Schritten deren seelische Verletzungen. In Form von beeindruckenden und sehr tiefsinnigen Dialogen dürfen die traumatisierten Teenager gegenseitige Verständnis und Wertschätzung erfahren.

„Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer“ ist ein sehr berührender Jugendroman, der schwierige familiäre Situationen und das Mobbing in Schulen zum Kernthema hat. Melissa C. Feurer legt zudem großes Gewicht auf den christlichen Glauben und wartet darüber hinaus mit einer Fülle von Lebensweisheiten auf. Sie plädiert dafür, die Hoffnung niemals aufzugeben und führt ihre Protagonisten letztendlich zur Erkenntnis, dass Zeit zwar nicht alle Wunden heilt, manche schmerzhaften Erfahrungen im Leben jedoch zur persönlichen Entwicklung beitragen.

„Vielleicht geht es Menschen im Bezug auf Gott manchmal auch so. Sie sind wütend und enttäuscht, weil Gott ihnen eine schmerzhafte Erfahrung nicht erspart hat, und erkennen einfach nicht, dass er es gut mit ihnen meint"