Rezension

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Violins of hope - und GEGEN das Vergessen! -

Geigen der Hoffnung - Titus Müller, Christa Roth

Geigen der Hoffnung
von Titus Müller Christa Roth

Bewertet mit 4.5 Sternen

Geigen der Hoffnung (Untertitel: Damit ihr Lied nie verklingt) von Titus Müller und Christa Roth erschien 2016 (HC) im adeo-Verlag (Gerth Medien GmbH), Asslar. Das Cover weist auf die Hauptprotagonisten in diesem Buch hin, in denen es in diesem Roman geht: Violinen, die einst jüdische Besitzer spielten, die im Holocaust während des Nazi-Regimes ermordet wurden. Die weiße Schrift des Titels auf dunklem Weg, das die Gleise in ein KZ zeigt, wirkt  beim 'g' fast fast wie eine Bogensaite, was ich besonders gelungen finde.

"Wenn wir die Instrumente wieder zum Leben erwecken, sie vor Publikum spielen und das vor Rührung weint, dann ist das der größte Beweis, dass die Nazis gescheitert sind." 
(Quelle: Klappentext)

Am Romananfang nähert sich CHRISTA ROTH sehr behutsam in Interviews mit Amnon Weinstein, dem Hauptprotagonisten, dem Thema des Holocaust: Amnon führte die Tradition des Geigenbauens seines Vaters Moshe fort, der 1938 mit Ehefrau Golda noch nach Palästina ausreisen konnte. Es hat mich sehr beeindruckt, im Romanverlauf (der immer abwechselnd von zwei Erzählsträngen durchwirkt ist) die vielen Facetten der Persönlichkeit, die Amnon Weinstein darstellt, kennenlernen zu dürfen: Der Vater verdrängte die Vergangenheit, der fragende Sohn hörte auf zu fragen und verdrängte ebenso, dass es keine Verwandten gab, die er in Tel Aviv hätte besuchen können.... Er nimmt jedoch alte Geigen an, die darauf hindeuten, in jüdischem Besitz gewesen zu sein und deren Besitzer in deutschen KZ's ermordet wurden, die Geigen jedoch überlebten.
Amnon restauriert diese fachmännisch und arbeit sie mit großem Können auf, so dass sie fortan wieder spielbar sind.

"Eine Geige erfüllt jede jüdische Melodie mit Leben. Ihr sinnlicher, nobler Klang, der trotz der kleinen Größe in talentierten Händen wunderbar satt tönt, geht einfach schnell zu Herzen". (Textzitat Amnon Weinstein)

Nach dem Mauerfall drängt Daniel Schmidt, ein sächsischer Geigen- und Bogenbauer, Amnon mehrmals, diese Geigen wieder erklingen zu lassen, bis dieser nachgibt. Dies ist der Beginn einer weltweiten Konzertreihe der "Violins of Hope"....
Bewundernswert fand ich die späte Einsicht, den Enthusiasmus, das Engagement und das große Können Amnon Weinsteins, die Geigen und die Konzerte zu seiner Herzenssache zu machen, die Violinen zu "hörbaren, musikalischen Stolpersteinen" überall in der Welt erklingen zu lassen.

Der zweite Erzählstrang stammt aus der Feder von TITUS MÜLLER, der mir und vielen anderen Lesern durch seine historischen Romane bereits bekannt ist.

Der Autor erzählt die Geschichte zweier Brüder und ihren schweren Weg, den Zehntausende Juden im 2. WK erlitten haben: Marek und Stani Król werden aus einem Ghetto in das KZ Dachau deportiert, wo sie dem Grauen von Hunger, Erniedrigung, schwerster Arbeit bei Mangelernährung, mangelnde Hygiene und schließlich dem Sadismus und unmenschlicher Grausamkeit einiger SS-Schergen ausgesetzt sind. Marek gelingt es, ins Lagerorchester aufgenommen zu werden, wo er fortan die Geige spielt und sich dadurch den Übergriffen und dem Hass des SS-Oberscharführers Köcher ein wenig entziehen kann. Dieser hatte seine Geige bei der 'Begrüßung' zertrümmert und der Hass der indoktrinierten Waffen-SS gegenüber den 'Untermenschen' ist deutlich zu spüren und macht fassungslos und beklommen...
Marek hat oftmals ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Mithäftlingen in den Arbeitskolonnen der abgemagerten, oft zum Tode Verurteilten Menschen, was ebenfalls sehr betroffen macht, aber auch die große Menschlichkeit in Mareks Herzen erkennen lässt. Marek und Stani überleben auch unter Mithilfe eines Arztes, der beide kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner in seiner Krankenstation aufnimmt, an die sich wegen der Ansteckungsgefahr selbst die Nazis nicht trauen.....

Die Befreiung wurde m.E. etwas sehr kurz abgehandelt und für den Leser schwer nachvollziehbar war, auch wenn ich bereits viele Romane über die NS-Zeit gelesen habe. Auch der kurze Überblick von Christa Roth über die Geschichte Israels seit Staatsgründung (1949) war für mich leider lückenhaft und etwas einseitig dargestellt; das Hauptthema des Romans wurde jedoch brillant umgesetzt:

Über die Zeit des Grauens im KZ gab die Geige, die Musik Marek und vielen Inhaftierten Hoffnung und ein wenig das Gefühl, noch ein Mensch zu sein; die Geige war für Marek stets eine Quelle der Kraft und auch der Hoffnung. 

Ein Nachwort der Autoren sowie wunderschöne Fotos der Geigen und Amnon Weinsteins Werkstatt ergänzen den Roman und werten ihn nochmals auf.

Fazit:

Absolut fesselnd, lesenswert, beeindruckend, betroffen machend und als literarische Ermahnung gegen das Vergessen (gerade in heutiger Zeit und dem Erstarken des Rechtspopulismus in ganz Europa!) eine lohnenswerte Lektüre. Eine absolute Leseempfehlung von mir, 4,5 * und ein großes Dankeschön an beide Autoren sowie besonders an Amnon Weinstein, vor dessen Kunst im Geigenbau ich mich - vor allem durch die Vergangenheit dieser Violinen - nur verbeugen kann.