Rezension

Viva la vida!

Frida Kahlo - Hayden Herrera

Frida Kahlo
von Hayden Herrera

Bewertet mit 5 Sternen

«Ich habe niemals Träume gemalt. Was ich dargestellt habe, war meine Wirklichkeit.»

Ein Jahr vor ihrem Tod, im Jahre 1953, rechnete wohl niemand damit, dass die damals schwerkranke Frida bei der Vernissage ihrer ersten großen Ausstellung in der mexikanischen Heimat beiwohnen könne – und doch tat sie es. In einem Himmelsbett liegend empfing sie die Besucher und sang mit ihren Freunden bis tief in die Nacht. Allein schon diese Erzählung lässt erahnen, welch eine ungewöhnliche und faszinierende Frau sie gewesen sein muss.

Mit der gleichen kraftvollen Szene beginnt die Einleitung von Herreras 'Frida Kahlo'-Biographie und betont sogleich, dass dieses Buch sich an die Fakten und nicht an der Legendenbildungen, die um Kahlo ranken, halte. Im Laufe des Buches erhält der Leser eine überwiegend chronologischen Ablauf von der berühmten mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo (1907 - 1954) präsentiert, das lediglich dann in der Zeit springt, wenn es der Kontext bzw. die Einordnung erfordert.

Die Biographie war für mich nicht nur eine spannende Lektüre, da sie tiefe Einblicke in das Leben und die Gefühlswelt Kahlos gewährt, sondern auch in Hinsicht auf Kahlos Werken sehr interessant. Dies mag darin begründet sein, dass Herrera Kunsthistorikerin ist und viel über Fridas Werke zu berichten weiß, was die Biographie abwechslungsreich gestaltet.

Man erfährt zunächst einiges über ihre Herkunft, das Elternhaus und die Umgebung, in der Frida aufwuchs, sowie über ihre Erkrankung an Kinderlähmung. Später begleitet man ihr als eine der wenigen Mädchen, die eine der besten mexikanischen Schulen besuchen durfte. Der schwere Busunfall, den sie mit 18 Jahren nur knapp überlebte und ihr eine Stahlstange durch das Becken bohrte, veränderte ihr Leben maßgeblich. Ihr damaliger Jungendfreund Alejandro, der sich an jenem Tag mit Frida in jenem unheilvollen Bus befand, erzählte dazu u.a.:

„Jemand im Bus, wahrscheinlich ein Anstreicher, hatte ein Paket Goldpuder bei sich gehabt, das aufgegangen war; und nun war das Gold über Fridas blutenden Körper gestäubt. Als die Leute sie sahen, riefen sie. Mit dem Gold auf dem roten Körper hielten sie sie für eine Tänzerin. [...]“

Diese Schilderung bspw. greift die Autorin später auf, um die Eindrücklichkeit dieser Szene abermals zu verdeutlichen, schließlich bezog sich Frida bis zu ihrem Tod immer wieder indirekt auf dieses Erlebnis, das viele Folgen nach sich trug:

"[…] aber abends, wenn Frida allein war, wurde sie von Todesgedanken gequält. Sie stellte sich vor, wie sie bereits hätte tot sein können oder vielleicht doch noch sterben müßte. Der Tod war sie jetzt mit konkreten Erlebnissen verbunden: goldüberpuderte Röte auf nackter Haut, die Rufe, die das Geschrei ringsum übertönte."

«In diesem Hospital tanzte nachts der Tod um mein Bett.», sagte Frida später zu Alejandro.

Seit diesem Unfall hatte Frida Kahlo dauerhaft mit Schmerzen und Bettlägrigkeit zu kämpfen; ein Umstand, der sie dazu antrieb, intensiv mit dem Malen zu beginnen. Hier (und auch an anderen Stellen) greift die Autorin zeitlich vorweg, vergleicht die Anfänge mit der später ausgeprägten künstlerischen Handschrift Fridas und findet Motive, die sich wie ein roter Faden durch Fridas Werke ziehen: Die Malerin stellt diverses Leid und ihre Lebenserfahrungen in Gestalt dar. Dennoch sprechen Kahlos Werke nicht von Selbstmitleid, sondern von Tapferkeit. Kraft und Schmerz – zwei Pole, die in Kahlos Bildern stets gegenwärtig sind. Frida selbst war wohl eine Frau mit zwei Gesichtern: vom Schicksal gnadenlos in die Knie gezwungen, liebte sie das Leben ebenso intensiv, wie sie später die Einsamkeit und die Melancholie suchte. So äußerte sie bspw. öfters: «Ich neckte den Tod und lache ihn aus, damit er mich nicht so leicht unterkriegt.»

Herrera betont dennoch, dass Frida rückwirkend die schmerzvollen Ereignisse der Vergangenheit teilweise anders darstelle, indem sie bspw. „später behauptete, sie hätte nicht einen, sondern drei Monate im Rotkreuzkrankenhaus liegen müssen.“ Dies schreibt Herrera der Maske der heroischen Leidenden zu, die Frida ihrem Gesicht in den Portraits verlieh und somit Teil ihrer Persönlichkeit wurde. Dies zeigt, dass Herreras Biographie sich ebenfalls kritisch mit Kahlo auseinandersetzt und den Widersprüchlichkeiten Raum gewährt.

Gleiches gilt, wenn Herrera die widersprüchlichen Kommentare von Freunden und zeitgenössischen Beobachtern zu Fridas Ehe mit Diego Rivera, einem kommunistischen Künstler, wiedergibt. Das erste Ehejahr, welches von einem schmerzvollen Schwangerschaftsabbruch und Diegos ersten außerehelichen Affären überschattet wurde, ließ Frida sagen: «Ich bin in meinem Leben von zwei großen Unfällen betroffen worden. Der eine geschah, als ich von einer Straßenbahn überfahren wurde, der andere ist Diego.»

Sie, die Taube, die eine Ehe mit einem Elefanten (so wurde das Paar damals u.a. genannt) eingegangen war, vergab ihm alle Schwächen: «Ich kann ihn nicht als jemanden lieben, der er gar nicht ist.» Herrera geht noch auf weitere Licht- und Schattenseiten dieser für Außenstehende ungewöhnliche Liebe der zwei Künstler ein, indem sie bspw. einen anderen Biographen hinzuzieht, der seinerseits eine Buch über Diego Rivera schrieb. Diego selbst hielt schriftlich fest: «Wenn ich eine Frau liebte, wollte ich sie um so mehr verletzten, je mehr ich sie liebte; Frida war bloß das deutlichste Opfer meines abscheulichen Charakterzuges.» Frida selbst ließ sich irgendwann ebenfalls auf kurze Romanzen ein, wie bspw. mit dem politischen Exilanten Trotzki. Symbol der seltsamen Beziehung, die Frida und Diego führten und die zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit schwankte, stellt in gewissen Maßen ihre benachbarten Häuser dar, in denen jeder für sich lebte und die via einer Brücke miteinander verbunden waren.

Unter anderem schreibt die Autorin ausführlich über Fridas politische Gesinnung, ihre Verwurzelung mit der mexikanischen Tradition, Fridas künsterischen Werdegang und den Aufenthalt des Ehepaars in Amerika, sowie andere Reiseziele. All diese Stationen kommentiert Herrera mit einer Analyse von Kahlos Werke, da diese symbiotisch mit Fridas Leben verbunden sind. So äußerte Frida bspw. in ihrem letzten Lebensjahr: «Meine Malerei enthält alle meine Schmerzen... Malerei hat bei mir zu Ende geführt, was das Leben unvollendet ließ.»

Kahlos Todesursache ist nach wie vor umstritten; Herrera beschließt indes, alle Aussagen zu Rate zu ziehen und überlässt dem Leser die Schlussfolgerung. Der Schriftsteller und langwieriger Freund Andrés Henestrosa sagte über Fridas Leben: «Es war wie ein lebenslanges Sterben.»

Mich berührt das Buch selbst beim zweimaligen Lesen nach wie vor, obgleich Herrera keine Verherrlichung betreibt. Bereits vor der gelesenen Biographie bewunderte ich Kahlos Bildsprache sehr; nach der Lektüre achte ich Frida Kahlo umso mehr für ihre Stärke und den ungebrochenen Lebenswillen. Selbst 60 Jahre nach ihrem Tod weiß Kahlo noch immer durch ihre Kunst und ihr Schicksal zu bewegen und zu inspirieren.

„Ich muß dankbar sein und kein Wunder vom Leben erwarten oder auch nur etwas, was von ferne wie ein Wunder aussähe.“ Briefauszug, 26. Mai 1932

Dem Time-Magazin gegenüber äußerte Frida: «Ich bin nicht krank, ich bin bloß zerbrochen. Aber ich bin glücklich über mein Leben, solange ich malen kann.»

Herreras Biographie berichtet gleichermaßen von Kahlos freudvollen und schmerzvollen Momenten, erzählt von Stärke und Hoffnungslosigkeit, sodass ein sehr lebendiges Bild entsteht. Die vielen emotionalen Auszüge aus Tagebüchern und Briefen skizzieren alle Seiten von Fridas Charakter; ebenso kommen Zeitgenossen zu Worte. Ganz nebenbei lernt der Leser noch andere berühmte Persönlichkeiten, wie bspw. Trotzki oder Neruda, kennen, mit denen Kahlo verkehrte.

Die Biographie enthält einige Photographien und Abbildungen ihrer Werke, leider jedoch längst nicht alle, auf die Herrera sich bezieht. Hier muss der geneigte Leser manchmal selbst nachgucken. Die Zeittafel im Anhang gibt nochmal die wichtigsten Daten wieder.

Für mich war diese Biographie ein besonderes Leseerlebnis, und ich kann sie jedem, der sowohl mehr über Kahlos Lebens- und Leidenswerk als auch über ihre Kunst erfahren möchte, lediglich empfehlen.

«denn ich liebe dich jetzt, wo Du mich verläßt, noch mehr als zuvor.» Briefauszug, 27. Dezember 1925