Rezension

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völlig unlogisch von Anfang bis zum Schluß

DIE WAHRHEIT
von Melanie Raabe

Bewertet mit 0.5 Sternen

Habe viel positives über das Buch gehört und bin nun sehr enttäuscht. Mit dem Schreibstil kann ich mich nicht so ganz anfreunden und auch Sarahs Innenleben (Gedanken und Gefühle) finde ich eher langweilig. Da hat sie etwas so Gravierendes wie das spurlose Verschwinden ihres Mannes erlebt und bleibt doch irgendwie oberflächlich.

Dass sie am Flughafen nichts sagt, als ein Fremder sich als ihr Mann ausgibt, kann ich nicht nachvollziehen. Auch wenn es ihr körperlich schlecht geht und sie mit Schwindel und Ohnmacht wegen des Schocks zu kämpfen hat, müßte ihr doch eher ein "Wo ist Philipp?" oder "Du bist nicht Philipp" oder "Wer sind Sie?" rausrutschen, als ein "Schön, dass Du wieder da bist", auch wenn sie sich den Satz vorher zurecht gelegt hat.

Ich wäre am Flughafen ausgestiegen, sobald ich gemerkt hätte, der Fremde steigt ein und hätte einen anderen Wagen genommen. Ich hätte meinem Sohn gesagt, "das ist nicht Dein Vater" und wenn ich ihn zu einer Freundin gebracht hätte, hätte ich ihr ebenfalls gesagt, dass ein Fremder sich als Philipp ausgibt. Ich hätte (da ich in einem anderen Auto gesessen hätte) dem Fremden nicht die Tür geöffnet. Wäre er trotzdem reingekommen, hätte ich Freunde angerufen, um mir beizustehen oder auch den einen Arbeitskollegen. Und bevor dieser fremde und unsympatische Mann, den ich als Bedrohung für mich und mein Kind empfinde, sich bei mir einnistet, wäre mir der vorübergehende Trubel egal gewesen. Ich hätte die  Polizei dazu geholt und die Presse auf meine Seite gezogen. Vielleicht wäre das ein Fehler gewesen, falls er die Presse für sich einnimmt, aber ich hätte es zumindest versucht und auf den öffentlichen Druck auf ihn gehofft. Evtl. hätte ich einen Anwalt eingeschaltet, damit er zunächst in ein Hotel zieht bis zur Klärung der Dinge. Man kann ja argumentieren, wenn er seine Frau liebt und man 7 Jahre getrennt war, dass er dann seiner Frau eine Wiedergewöhnungsphase zugesteht.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar finde ich, dass sie nicht Hilfe holt. Als sie telefonieren will, zieht der Fremde den Telefonstecker. Später ist sie mit ihrem Handy allein im Zimmer und nutzt es nicht. Dann rennt sie Nachts auf die Straße, um Hilfe zu holen, was nicht gelingt. Aber am nächsten Tag folgt sie dem Fremden heimlich quer durch die Stadt, fährt dann zu ihrer Freundin und zur Schwiegermutter usw. anstatt sich Hilfe zu holen.  Für mich nicht nachzuvollziehen. Auch der Fremde ist nicht zu verstehen. Er hat Angst, dass sie die Polizei ruft, lässt sie aber dann alleine losfahren und nimmt ihr auch nicht das Handy weg.

Auch wird schon früh im Buch gesagt, dass sie in Gedanken aufzählt "Ich habe ein Tattoo, ich habe jemanden umgebracht..." Später heißt es dann, sie habe das so erfolgreich seit Jahren verdrängt, dass sie davon nichts mehr wußte, bis der Fremde fragte, was das Schlimmste sei, was sie je getan habe und somit die Erinnerung daran wieder kam.

 Den Stil mag ich auch nicht, da jedesmal, wenn eine regennasse Strasse im Dunkeln beschrieben wird, es heißt "die Strasse glänzte schwarz wie Lakritze". Einmal ist gut, 2x naja, aber noch öfter ist einfach zu viel. Genauso wird das Wort "Übersprungshandlung" überstrapaziert. Dauernd macht Sarah irgendwelche Übersprungshandlungen. Ja, man macht das im Alltag oft, aber muß es jedesmal so genannt werden. Andere Handlungen werden ja auch beschrieben, ohne sie zu benennen (Projektion, Assoziation, Reflexe usw.) Auch lies sich das Buch nicht wirklich flüssig lesen. Es gibt zuviele Handlungsstränge oder Andeutungen, die Spannung erzeugen, aber dann nie wieder erwähnt werden oder in einem Nebensatz am Schluß abgetan werden. Der Fremde spricht auch immer wieder von einem Plan, von dem die Frau ihn nicht abbringen kann. Allerdings scheint sein Handeln sehr planlos und auch diese Bemerkungen werden nicht wieder aufgegriffen. Herauszufinden, ob Sarah was mit dem Verschwinden ihres Mannes zu tun hat, in dem man da rumsitzt und nicht schläft, ist kein Plan. Auch Sätze wie "wenn ich untergehe, dann nehme ich sie mit" (S.138) ergeben überhaupt keinen Sinn, wenn man den Schluß kennt.

Alles sehr unlogisch, abstrus, wenig glaubhaft und in sich nicht schlüssig.

Das Gefühl, für dumm verkauft zu werden, was sich schon bei den ersten Widersprüchen eingestellt hat, gipfelt aber dann darin, dass der Fremde doch Sarahs Mann ist, nachdem zuvor gesagt wurde, der Fremde sei viel kleiner. Auch wird klar gesagt, dass er es nicht ist. Als Beispiel nur mal ein Zitat des Fremden beim Betrachten eines Fotos des verschwundenen Philipps (S.234): "Egal wie groß die körperliche Ähnlichkeit auch sein mag,es war idiotisch von mir zu glauben, dass ich die Frau auch nur eine Sekunde lang täuschen könnte. ...Ich mag aussehen, wie Philipp Petersen....Aber die Essenz eines Menschen lässt sich nicht immitieren. Seele lässt sich nicht fälschen." Und dann ist er es doch ? Fühle mich veräppelt.

Der Schluß ist auch mau und eher wie ein Ballon, aus dem die Luft raus ist.

Alles in allem finde ich die Handlung sehr abstrus und an den Haaren herbeigezogen. Kein empfehlenswertes Buch. Verstehe den Hype nicht.