Rezension

Voller Weisheiten, skurril und warmherzig...

Ich und die Menschen - Matt Haig

Ich und die Menschen
von Matt Haig

Bewertet mit 5 Sternen

In einer regnerischen Freitagnacht wird Andrew Martin, Professor für Mathematik in Cambridge, aufgegriffen, als er nackt eine Autobahn entlangwandert. Professor Martin ist nicht mehr er selbst. Ein Wesen mit überlegener Intelligenz und von einem weit entfernten Stern hat von ihm Besitz ergriffen. Dieser neue Andrew ist nicht begeistert von seiner neuen Existenz. Er hat eine denkbar negative Meinung von den Menschen. Jeder weiß schließlich, dass sie zu Egoismus, übermäßigem Ehrgeiz und Gewalttätigkeit neigen. Doch andererseits: Kann eine Lebensform, die Dinge wie Weißwein und Erdnussbutter erfunden hat, wirklich grundschlecht und böse sein? Und was sind das für seltsame Gefühle, die ihn überkommen, wenn er Debussy hört oder Isobel, der Frau des Professors, in die Augen blickt?

In einer regnerischen Freitagnacht findet Professor Andrew Martin die Lösung für das größte bekannte Problem in der Mathematik. Danach verschwindet er. Seine Stelle nimmt jemand anderes ein - ein Wesen von einem anderen Stern mit überlegener Intelligenz und einem Auftrag: den weiteren mathematischen Fortschritt der Menschheit zu verhindern.
Der neue Andrew ist nicht begeistert von seiner Aufgabe, auch nicht von seiner neuen Existenz. Und von den Menschen schon gleich gar nicht. Was für eine seltsame Lebensform, die nur primitivste Technik, mittelmäßige Intelligenz und keinerlei Sinn fürs Wesentliche besitzt! Und doch, bei näherer Bekanntschaft kann man auch positive Seiten an ihnen entdecken... Er schiebt die Erfüllung seines Auftrags immer weiter hinaus, und eines Tages reißt seinen Auftraggebern die Geduld.

Um zu schützen, muss man manchmal zerstören. (Wenn ihr mir nicht glaubt, fragt das Universum.) Es war eine ganz einfache Mission - oder wäre es gewesen, wenn ich mich nicht hätte hineinziehen lassen. (S. 19)

Das Wesen vom anderen Stern, das in den Körper des genialen Mathematikers Andrew Martin schlüpft, hat den Auftrag zu verhindern, dass die neueste mathematische Erkenntnis des Professors an die Öffentlichkeit gelangt. Der technische Fortschritt, der dadurch erzielt werden könnte, würde die Menschheit überfordern und damit in Gefahr bringen.
Um zu ergründen, wem der Professor vor seinem Verschwinden von seiner bahnbrechenden Entdeckung berichtet hat, muss das Wesen einige Zeit lang in der Person des Mathematikers in dessen Umfeld unauffällig Erkundigungen einholen.

Das gelingt anfangs weniger gut, jedenfalls die Sache mit dem Unauffälligen. Als er nackt über die Autobahn rennt, wird er von der Polizei einkassiert und landet schließlich in der Psychiatrie. Doch wenig später wird er entlassen und nimmt seinen Platz in der Familie des Professors und bei seiner Arbeit an der Universität von Cambridge ein. Was natürlich nicht reibungslos funktioniert.

Neben allerlei skurrilen und absonderlichen Situationen ist es v.a. die Sichtweise des Außerirdischen auf die Menschheit, die das Besondere des Romans ausmacht.

Die Erde war, wie mir später klar wurde, ein Planet der verpackten Dinge. Nahrung in Folie. Körper in Kleidung. Verachtung in Lächeln. Alles war verpackt. (S. 27)

Doch es bleibt nicht dabei, dass der fremde Andrew der Menschheit einen manchmal nicht sonderlich schmeichelhaften Spiegel vorhält - je länger er auf der Erde weilt, desto mehr schöne Seiten entdeckt er unerwartet am Erdensein.
Musik. Gedichte von Emily Dickinson. Erdnussbutterbrote. Und - Gefühle.

Und ich erkannte das Ergreifende der menschlichen Existenz: ein sterbliches Wesen zu sein, das im Grunde allein war, aber den Mythos der Gemeinschaft mit anderen Menschen brauchte. Mit Freunden, mit Kindern, mit Geliebten. Es war ein verlockender Mythos. (S. 183 f.)

Das Wesen vom anderen Stern trifft eine Entscheidung. Und diese Entscheidung wird alles verändern. Grundlegend...

Voller Weisheiten, skurril und warmherzig kommt dieser Roman daher, der trotz des Wesens vom anderen Stern nichts mit Science-Fiction zu tun hat. Dabei ist das Buch flüssig geschrieben und präsentiert Charaktere, die einem rasch ans Herz wachsen. Neben witzigen Episoden tauchen unvermittelt tiefgründige, fast philosophische Passagen auf, die zumindest kurz nachdenklich stimmen und/oder berühren. Die Sichtweise eines "Fremden" ermöglicht dabei einen nahezu unverfälschten Blick auf das Menschsein, doch es ist ein Lernen auf Gegenseitigkeit.

Das Ganze mündet am Ende in 97 Ratschlägen für einen Menschen, von denen ich mühelos zwei Drittel hier als erwähnenswerte Zitate einstreuen könnte (S. 324 ff.). Stellvertretend hier ein paar Beispiele:

Zweifle nicht an deinen Fähigkeiten. Du hast die Fähigkeit zu lieben. Das ist genug.

Sei neugierig. Hinterfrage alles. Die Fakten der Gegenwart sind die Märchen der Zukunft.

Jede neue Technologie auf der Erde ist in fünf Jahren lächerlich überholt. Halte dich an die Dinge, die auch in fünf Jahren nicht lächerlich sein werden. Liebe. Ein gutes Gedicht. Ein Lied. Der Himmel.

Strebe nicht nach Perfektion. Die Evolution und das Leben kommen nur durch Fehler weiter.

Versuch nicht immer cool zu sein. Das ganze Universum ist cool. Es sind die warmen Stellen, die zählen.

Hör auf deinen Kopf. Hör auf dein Herz. Hör auf deinen Bauch. Hör auf alles, außer auf Befehle.

Haaaaalt, jetzt reicht es wirklich. Das sprengt hier sonst den Rahmen.

Ich kann nur raten: lest es selbst! Dieses Buch ist in meinen Augen jedenfalls zurecht ein Bestseller...

© Parden

Kommentare

Naibenak kommentierte am 30. Juli 2014 um 09:26

Das klingt ganz wunderbar! Ist bereits auf meiner WL :)

parden kommentierte am 30. Juli 2014 um 21:58

Dann wünsche ich ganz viel Spaß damit!