Rezension

Vom Anthropozän zum Maschinenzeitalter?

Das Erwachen
von Andreas Brandhorst

Bewertet mit 5 Sternen

"Kenia. Ein unscheinbarer Computer wird von einem Virus befallen. Ein kleines Programm, das sich rasend schnell im Internet ausbreitet und unzählige Rechner auf der ganzen Welt miteinander vernetzt. Überall kommt es zu Störfällen, die Stromversorgung bricht zusammen. Alles, was am Internet hängt, gerät außer Kontrolle. Die Regierungen beschuldigen sich gegenseitig, die Staaten geraten an den Rand eines globalen Krieges. Der Hacker Axel Krohn und seine Verbündete Giselle suchen nach einem Weg, das Virus aufzuhalten. Doch dabei entdecken sie etwas viel Größeres: Der Moment, vor dem die Wissenschaftler immer gewarnt haben, ist gekommen - die erste Maschinenintelligenz ist erwacht...."

Das digitale Zeitalter hat längst begonnen! Die globalisierte Welt funktioniert nicht mehr ohne Computer, Internet, elektronische Steuerung fast aller Tätigkeiten, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch manuell und oft unter großem Aufwand von Zeit und Kraft erledigt werden mussten.
Diese Zeiten sind vorbei, die Computer und ihre nahezu unbegrenzten Möglichkeiten erleichtern das Leben der Menschen ungemein und es ist erstaunlich, zu beobachten, mit welch rasender Geschwindigkeit sich die digitalisierte Welt weiterentwickelt und unser aller Leben zunehmend verändert.
Was vor zehn Jahren nur für Wissenschaftler und Menschen mit Weitblick denkbar war und ihnen Anlass zu Besorgnis gab, ist Wirklichkeit geworden - und man mag sich kaum vorstellen, was alles noch denkbar und im Bereich des Machbaren ist.

Könnte es wirklich in nicht allzu ferner Zukunft geschehen, dass die Spezies Mensch nicht mehr Wohl und Wehe unseres Planeten bestimmt? Könnte es sein, dass wir vom "Anthropozän", dem Menschenzeitalter, sehr bald schon übergehen in das Maschinenzeitalter, in dem intelligente Maschinen den Menschen alle Entscheidungen aus der Hand nehmen, sie lenken und leiten, oder ihnen gar den Garaus machen?

Mit einem solchen möglichen Szenario beschäftigt sich Andreas Brandhorst in seinem neuen Thriller "Das Erwachen", der im Jahre 2031, also in der nahen Zukunft spielt.
Der Autor entwickelt eine überaus spannende, furchterregende, nervenzerreißende Geschichte, die ihre Wurzeln in der Realität hat und in der eine Maschinenintelligenz durch den Fehler eines Hackers zum Leben erweckt wird.
Er stellt sich die Frage, was mit unserer Welt geschehen würde, wenn künstliche Intelligenz, an deren Entwicklung nicht nur eifrig gearbeitet wird, sondern die bereits vielfach existiert in allen Bereichen unseres Lebens, zu einer echten Maschinenintelligenz mutiert.

Nach der Lektüre des fesselnden, hervorragend geschriebenen Thrillers, der den Leser atemlos zurücklässt, kann man nur wünschen und hoffen, der Autor möge sich irren und die von ihm geschilderte Machtübernahme von intelligenten, allwissenden, omnipotenten, alles kontrollierenden, letztend aber vom Menschen in seiner Hybris, die Weitblick ausschließt, selbst gemachten, selbst verantworteten Maschinen und deren desaströse Folgen mögen reine Fiktion bleiben.
Denn es ist fürwahr erschreckend zu lesen, wie die Maschinenintelligenz, die weil die Menschen für alles einen Namen brauchen, wechselweise Smiley oder Goliath genannt wird, kurz nach ihrer "Geburt" bereits das tägliche Leben der Menschen auf dem gesamten Planeten empfindlich stört, denn nichts mehr geht, was bisher auf Knopfdruck funktionierte: der Straßenverkehr kommt zum Erliegen, Flugzeuge stürzen ab, Aufzüge bleiben stecken, automatische Türen öffnen sich nicht mehr, Geldautomaten und Ladenkassen funktionieren nicht mehr, es gibt kein Licht, kein Wasser...
Und unweigerlich sterben Menschen, die auf digital gesteuerte Maschinen angewiesen sind, um am Leben bleiben zu können.
Sehr bald auch bewahrheitet sich das Sprichwort, dass "der Mensch des Menschen Wolf" sei - denn wenn es ums Überleben geht, um die Rettung der eigenen Haut, kennen wir Menschen kein Erbarmen!

Doch da ist zum Glück das Häuflein sympathischer Aufrechter, eben jene weitblickenden Mahner und der unglückselige Hacker selbst, die alles daran setzen, um nicht nur einen Krieg zu verhindern sondern auch und vor allem mit der Maschinenintelligenz in Kontakt zu treten - und damit vielleicht die Menschheit zu retten. Ob ihnen das wohl gelingt? Ob es wohl eine Zukunft für die Menschheit unter ganz anderen Bedingungen geben mag? Und was könnte der Preis dafür sein?

Aber dem soll nicht vorgegriffen werden - wie überhaupt jeder Versuch, diesem beklemmend realistischen, so komplexen Thriller in einer möglichst informativen, aber nicht zuviel verratenden Besprechung gerecht zu werden, eben nur ein Versuch bleiben kann.
Man muss den Roman einfach selbst lesen und sich damit auf ein Abenteuer einlassen, das man so schnell nicht vergessen wird und das womöglich dem einen oder anderen Leser Denkanstoß sein wird und ihn sensibilisiert für die Gefahren, die aus zügel- und verantwortungslosem Vorantreiben einer nur bis zu einem gewissen Grad vom Menschen beherrschbarer Technik für uns alle erwachsen könnten!