Rezension

Vom Nix und der Angst

Geister
von Nathan Hill

Bewertet mit 3.5 Sternen

„The Nix“ ist der eigentlich viel bessere Titel für den Roman von Nathan Hill – eine kleine Unsitte der deutschen Verlage immer „eigene“ Buchtitel kreieren zu müssen, statt das ein oder andere Mal einfach den Originaltitel zu übersetzen. Der Nix ist nämlich der rote Faden in der Geschichte um Samuels Familie. Man könnte ihn als Geist bezeichnen oder als Familienmythos. Eine nordische Sagengestalt, die in Samuels Familie auf drei Generationen Einfluss übt. Ein Geist der Angst, eine Mahnung vor der Liebe; Liebe, die immer durch Verrat endet. Um den Nix und seine Macht zu verstehen, muss man das Buch schon selbst lesen. Keine Sorge, um einen Fantasyroman dreht es sich hingegen nicht. Im Vordergrund stehen handfeste Themen. Ein Kaleidoskop durch unsere Zeit, wie sich das für einen Familienroman über drei Generationen eben so gehört. Verschlagwortend ginge es ungefähr so (wobei die Reihenfolge keine Gewichtung darstellt): Onlinerollenspiele, Homosexualität, Schweigen, Missbrauch, Freundschaft, erste Liebe, Angstzustände, verlassen werden, Skorbut, sexuelle Befreiung, Friedensdemonstrationen, Militäreinsatz, Chicago, 68er, Studentenrevolte, Lug und Trug, 2. Weltkrieg, verlassen, Familiengeheimnis, Rache, Plagiat, Politik, Macht, Medien und einiges mehr. Nathan Hill zeichnet ein Bild unserer Gesellschaft, deren Wurzeln er in die Kriegs- und Nachkriegsgeneration verortet. Die Ängste, Erfahrungen und Entscheidungen der Eltern und Großeltern haben unmittelbar Auswirkungen auf die Kinder und diese werden zu Erwachsenen, die Probleme haben, sich selbst zu erkennen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, oder die Entscheidungen im Sinne der Eltern treffen, weil sie ohne deren Anerkennung ihr Selbst verlieren. Erwachsene, die sich lieber in der virtuellen Welt verirren, weil dort die Anerkennung scheinbar einfacher zu erlangen ist. Gewissermaßen führt uns Hill Archetypen unserer Zeit vor, manchmal sind diese auch etwas stereotypisch, aber sie entspringen unserer Wirklichkeit, der aktuellen und der Vergangenen. Es ist ein Wunder, dass Hills Figuren und Geschichten selten klischeehaft wirken, ein schmaler Grat, den er im Erzählen meistert, geschickt in wechselnde Perspektiven und Zeiten verpackt. Ein klassischer allwissender Erzähler, der den Leser häppchenweise mit Informationen füttert und immer mal wieder seinen Erzählstil leicht variiert, um ihn bei Laune zu halten. In der Nachschau mit dem großen Überblick über das Ganze mag die Handlung etwas konstruiert wirken, doch während des Lesens ging ich ganz mit den Figuren mit und spinne in Gedanken, deren Zukunft weiter. Den Nix werde ich nicht so schnell vergessen.