Rezension

Von allem zu viel...

Der Schock - Marc Raabe

Der Schock
von Marc Raabe

Bewertet mit 2 Sternen

Bei einem Unwetter an der Cote d’Azur begegnet Laura Bjely ihrem schlimmsten Alptraum. Ihr Freund Jan findet später nur noch ihr Smartphone – mit einem verstörenden Film im Speicher. Kurz darauf wird in Berlin die Leiche von Jans Nachbarin entdeckt. Auf ihrer Stirn steht eine blutige Nachricht. Allen Warnungen zum Trotz sucht Jan weiter nach Laura. Dabei stößt er auf einen Abgrund aus Wahnsinn und Bösartigkeit.

Der Plot klingt klasse, die vielen begeisterten Rezensionen ebenso, und neugierig war ich schon lange auf diesen Autor. Das Buch ist zwar der zweite Thriller von Marc Raabe, aber da es nicht zu einer Reihe gehört, sprach nichts dagegen, mit diesem Titel zu beginnen.

Leider kann ich mich den begeisterten Stimmen zu dem Thriller nicht anschließen. Gewaltszenen gibt es hier wahrlich genug, da ist der Autor nicht zimperlich, aber eine bloße Anhäufung brutaler Schilderungen machen für mich noch keinen guten Thriller aus. Ich habe irgendwann aufgehört, die Opfer zu zählen - auffällig fand ich allerdings auch die zahlreichen Szenen sexueller Gewalt, die mir in der Häufung wirklich zu viel wurden.

Dieser Thriller kommt ohne offizielle Ermittlungen aus, was für sich genommen nicht schlimm ist, aber bei den Figuren, die Marc Raabe hier vorstellt, wäre ein objektiver, unbeteiligter und v.a. nicht psychisch vorbelasteter Ermittler nicht schlecht gewesen. Die Charaktere, die hier eine größere Rolle spielen, haben nämlich alle ihr gewaltiges Päckchen zu tragen und gehörten eigentlich sämtlich auf die Couch des Psychotherapeuten.

Jan beispielsweise, den ein großes Feuermal im Gesicht verunstaltet und der durch ein tragisches Ereignis in seiner Kindheit auf seine Mutter verzichten musste und sich seither mit Schuldgefühlen herumschlägt. Oder die verschwundene Laura, die eine lieblose Kindheit hatte, im Internat unschöne Erfahrungen machte, jahrelang auf der Straße lebte und seit dieser Zeit alkoholabhängig ist. Auch bei Lauras Mutter, die von ihrer Tochter am liebsten nichts mehr wissen will, ist in ihrem Leben vieles schief gelaufen, und der Täter - naja, der ist eh jenseits von Gut und Böse... Bei der Vielzahl an Gestörten, die dann auch noch aufeinander losgelassen werden, kann man nur mahnend den alten Spruch hervorkramen: weniger ist mehr! In der Summe war das für mich jedenfalls nicht mehr glaubwürdig.

Für die Handlung selbst gilt hier: Action! Meines Erachtens nach ist zu merken, dass der Autor aus dem Bereich der Filmproduktion kommt. Viele Szenen wirken harsch aneinandergeschnitten, was die Handlung zwar vorantreibt, gleichzeitig aber teilweise auf Kosten der Nachvollziehbarkeit geht. Oftmals blätterte ich verwirrt zurück, weil ich manche Wendungen oder plötzliche Szenenwechsel nicht einordnen konnte. Action auf Kosten der Glaubwürdigkeit - für mich kein überzeugendes Konzept.

Dass Menschen in Not und Verzweiflung über sich hinauswachsen, ist kein unbekanntes Phänomen und wird gerade in Thrillern immer wieder gerne genutzt. Bis zu einem gewissen Grad ist es also glaubwürdig, dass jemand plötzlich zu Dingen in der Lage ist, die ansonsten nicht in sein Repertoire gehören, wenn es gilt, das eigene Leben oder das eines ihm wichtigen Menschen zu retten. Doch hier gerät der unvermeidliche Showdown dadurch derart skurril, dass ich statt vor Spannung fingernägelkauend durch die Seiten zu hetzten, grinsend und mit hochgezogenen Augenbrauen staunend verfolgte, wem jetzt wohl noch welche Heldentat gelang.

Hier gab es für meinen Geschmack von allem zu viel: zu viel bloße Gewaltanhäufung, zu viel Psychokacke, zu viel Action statt plausiblem Spannungsbogen, zu viele unglaubwürdige Szenen. Was als Film funktionieren mag - ich bin jedoch auch kein Liebhaber von Actionfilmen - muss als Buch noch lange nicht funktionieren. Schade.

Für mich wider Erwarten eine Enttäuschung.

© Parden