Rezension

Von den gesellschaftlichen Kontrasten der post-sowjetischen Zeit

Blasse Helden - Arthur Isarin

Blasse Helden
von Arthur Isarin

Bewertet mit 3 Sternen

Als die Berliner Mauer fällt, hat der 32-jährige Anton nur noch einen Wunsch: "so weit wie möglich in den Osten einzutauchen" (10). London und New York, das alles reicht ihm nicht mehr. Russland dagegen, speziell Moskau, scheint seinem Lebensgefühl und seinen Vorstellungen genau zu entsprechen: Geld, schöne Frauen, gutes Essen, Champagner, Kultur, Leichtigkeit und Freiheit. Er sieht sich als einen 'zur Faulheit neigenden Mann mit durchschnittlichen Fähigkeiten', der mit seinen Geschäftsmethoden im Rohstoffsektor in Deutschland als unseriös gelten würde, hier jedoch bereitwillig geduldet wird.

Ihn reizt es aber auch, 'mitten drin' zu sein, z.B. in gewaltsamen Unruhen im Russland zu Zeiten Jelzins, auch wenn er selber keine Partei ergreift. Denn während eine gewisse Oberschicht, die Oligarchen, das Heft in der Hand halten und in Saus und Braus leben, geht es den normalen Menschen schlecht: marode Wohnverhältnisse, Gewalttätigkeiten, keine Arbeitsstellen, miese oder gar keine Entlohnung, z.B. für Ärzte, so dass sich aus der Not heraus Kriminalität in all' ihren Ausprägungen entwickelt.

Mit Anton und durch seine Augen lernen wir Teile Russlands bzw. der ehemaligen Sowjetunion und – wie ich finde – auch wieder nicht. So manche Problematik wird nur kurz gestreift und nicht weiter verfolgt. Mag sein, dass genau dies dem Charakter von Anton entspricht, der sich mit keinem Problem tiefer beschäftigen will. Durch all' diese hingeworfenen Sätze, Abschnitte, Episoden aber entstand für mich ein deprimierendes, sehr negatives Russlandbild. Ich frage mich, ob dort wirklich alles so schlecht ist und ob sich mit der 'Präsidentschaft' Putins etwas geändert hat.

Als dieser am Horizont erscheint, gerät Anton unter Druck und muss eine Entscheidung treffen …

Die Sprache ist seltsam uneinheitlich: einerseits gehoben und mit dem ein oder anderen Fremdwort gespickt, andererseits mit trivialen Entgleisungen hier und da: "Eine kosmische Aura umhüllte ihren Astralkörper. (115), "Der Übergang des Amorbogens in das Philtrum gehörte zum Bezauberndsten, was er jemals gesehen hatte." (116). (Damit ist Claudia Schiffer gemeint.) Überhaupt wimmelt es von 'wunderbaren' und 'hinreißenden' Frauen.

Ich mochte die Verweise auf Musik und Literatur, insbesondere auf die russischen Klassiker, denn ungebildet ist Anton bei all' seiner Genusssucht nicht.

Aber ich fand das Buch schwierig zu lesen, weil ich den Wahrheitsgehalt nicht einschätzen kann, weil ich nicht weiß, wie schlimm die Zustände damals waren oder vielleicht heute noch sind, und weil alles nur kurz und oberflächlich angerissen und dann wieder fallengelassen wird. Eigentlich wollte ich durch das Buch etwas lernen, um dieses eigentümliche riesige Land besser zu verstehen, aber das war für mich nicht der Fall. Also werde ich mich bei nächster Gelegenheit mit Russland in Sachbuch- oder Romanform näher beschäftigen.