Rezension

Von der Allmacht künstlicher Intelligenz

Scythe - Der Zorn der Gerechten - Neal Shusterman

Scythe - Der Zorn der Gerechten
von Neal Shusterman

Bewertet mit 5 Sternen

Als neu ernannte Scythe Anastasia wird Citra damit konfrontiert, dass der Orden der Scythe alles andere als selbstlos im Sinn  der Gemeinschaft handelt. Im Anschluss an sein Scheitern in der Prüfung zum Scythe kann man Rowan als angeblichem Scythe Luzifer dabei folgen, wie er ein korruptes Ordensmitglied nach dem anderen richtet. Während im ersten Band in den eingeschobenen Tagebuchaufzeichnungen noch verschiedene Figuren aus Shustermans utopischer Welt zu Wort kamen, äußert sich nun ausgiebig „Thunderhead“, eine künstliche Intelligenz als Betriebs- und Belohnungssystem des Planeten Erde. Dieses System hat die altmodische Regierungsform abgelöst, in der Vertreter der Bevölkerung in ein Parlament gewählt werden. Er (oder es?) kontrolliert jeden Lebensbereich, wacht über alle Daten, die dabei gesammelt werden – und jeder Erdbewohner ist völlig vom allwissenden System abhängig. Theoretisch gibt es eine Art Gewaltenteilung zwischen Thunderhead und den Scythe. Die Ordensgemeinschaft der Scythe, theoretisch für das geplante Verringern einer Weltbevölkerung zuständig, die keinen natürlichen Tod mehr kennt, hat sich jedoch zur Laus im Pelz des sonst so durchsetzungsfähigen Thunderhead entwickelt. Die Scythe stehen über dem Gesetz, niemand wagt ihnen zu widersprechen oder ihnen eine Rechnung für ihre Käufe oder Wünsche zu schicken. Ein idealer Nährboden für jede Form von Völlerei und Korruption. Der verschwenderische  Lebenswandel der zweiten Macht auf dem Planeten wirft die Frage auf, wann ihr Maß an Dekadenz die Weltbevölkerung in den Abgrund reißen wird.

Auch wenn ich mich eher mit Citra und Rowan identfizieren wollte, hat mich die Frage gefesselt, wer  Thunderhead einmal programmiert hat und ob eine künstliche Intelligenz tatsächlich einen  Kontinent regieren könnte. Thunderhead mit seiner Art, allen nach dem Mund zu reden, scheint die Personifizierung der Diktaturen unserer Epoche zu sein, die sich oft durch die Verunstaltung von Sprache hervorgetan haben.  Dass Thunderheads Herrschaft nicht so leicht zu halten sein würde, kündigt sich bereits damit an, dass es in seinem System  eine Art anarchisches gallisches Dorf gibt. Im Staat Texas scheint Thunderhead Sonderregelungen zu dulden und zu beobachten, welches Maß an Freiheit er/es gerade tolerieren kann, ehe ihm sein System um die Ohren fliegen wird.

Ein weiterer Unruheherd scheint die Nachfolgerin der Bibliothek von Alexandria zu sein, in der die oben zitierten Tagebücher archiviert werden, zu denen jeder Scythe verpflichtet ist. Als Rowans Ausbilder Faraday dort auftaucht, erkennen er und die ehrgeizige Bibliothekarin Munira einander. Da Wissen Macht ist, können Shustermans Leser gespannt sein, wie es mit Rowans und Citras Welt weitergehen wird. Der zweite Band vermittelt in eher ruhigem Ton allerlei Vorwissen über das System Thunderhead und Scythe und endet – wie sollte es in einem mittleren Band anders sein - mit einem kräftigen Cliffhanger.