Rezension

Von der Macht des Schicksals...

Dinge, die vom Himmel fallen
von Selja Ahava

Bewertet mit 4 Sternen

Saara ist gerade einmal acht Jahre alt, als ihr Leben auf den Kopf gestellt wird. Als sie mit ihrem Vater von einer Besorgung nach Hause kommt, ist die Mutter tot: erschlagen von einem von einer Flugzeugturbine herabgefallenen Eisbrocken. Der Vater verfällt in eine schwere Depression, doch wenigstens ist da noch Tante Annu, die die beiden zu sich in das Gutshaus holt. Gerade als sich wenigstens für Saara wieder ein wenig Normalität einzustellen scheint, widerfährt der Tante ebenfalls ein Schicksalsschlag: sie gewinnt zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre den Jackpot im Lotto. Darüber verfällt Tante Annu in einen Schock, der sie schließlich fast vier Wochen lang schlafen lässt. Danach schreibt sie verzweifelte Briefe an einen schottischen Fischer auf den Hebriden, der bereits viermal vom Blitz getroffen wurde und überlebt hat. Wie kommt man damit zurecht, wenn man nicht mehr an einen Zufall glauben mag? Welcher Sinn steckt hinter all diesen Geschehnissen? Und gibt es eine Antwort auf das 'Warum'?

"In der Schule wurde uns von Lots Familie erzählt, zu der die Engel sagten: 'Geht, aber seht euch nicht um. Wir werden jenen Menschen nun etwas Schreckliches antun. Euch werden wir retten, aber ihr dürft es nicht sehen.' Und dann lief Lots Familie davon, aber Lots Frau glaubte den Engeln nicht und drehte sich um. Und sie sah das Schreckliche, das die Engel den Menschen antaten, und verwandelte sich in eine Salzsäule. Lots Frau wurde zur Säule, weil sie nicht ertrug, was sie dort sah. Die Lehrerin sagte, die Säule sei ein Zauber der Engel gewesen, aber ich weiß jetzt, dass man auch ohne Engelszauber zur Säule erstarren kann. Es reicht, dass man etwas sieht, das man nicht aushält." (S. 42 f.)

Aufgeteilt ist die Erzählung in vier Abschnitte, die das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten:

Der erste und umfassendste Abschnitt wird aus der Sicht der achtjährigen Saara erzählt, leicht und kindlich, fast emotionslos im Stil, und doch gelingt es Selja Ahava, die große Fassungslosigkeit, Einsamkeit und Traurigkeit des kleinen Mädchens aber auch der anderen Betroffenen zu transportieren. In diesem Abschnitt fühlte ich mich dem Geschehen nahe, konnte nachempfinden und hoffen, dass die Zeit womöglich tatsächlich alle Wunden heilt.

"Die Zeit blieb stehen. Man konnte nicht vor- und nicht zurückdenken. Jemand zeichnete eine dicke weiße Linie um unsere Gedanken herum, und die Gedanken blieben stehen, und wir steckten darin fest (...) Man kann nur hoffen, dass die Zeit die Wunden heilt. Aber dass die Zeit heilt, war Scheißdreck..." (S. 47)

Der zweite Abschnitt präsentiert den bereits angedeuteten Briefwechsel zwischen Tante Annu nach ihrem zweiten Lottogewinn und dem schottischen Fischer, der bereits vier Blitzeinschläge überlebt hat. Dabei dreht sich nicht alles allein um die persönlichen Erfahrungen der beiden Briefeschreiber, sondern eingeflochten darin befinden sich auch noch andere skurrile Schicksalsschläge, die Gegenstand von Zeitungsberichten oder TV-Dokumentationen waren und die v.a. Annu gesammelt hat. Eine interessante Zusammenstellung von unglaublichen Ereignissen ist dies, und ich vermute, dass Selja Ahava diesen Briefwechsel zwischen Annu und dem Fischer eingeflochten hat, um diese Sammlung in der Geschichte unterbringen zu können.

"...vielleicht braucht die Welt bisweilen Vorkommnisse, die uns alle aufrütteln. In diesem Dorf bin ich derjenige, der die Leute aufgeweckt hat. Wenn ich den Laden betrete, erinnert sich jeder Kunde daran, dass uns zu jeder Zeit der Himmel auf den Kopf fallen kann." (S. 114)

Der dritte Abschnitt wird erzählt aus der Sicht der neuen Frau von Saaras Vater, mit der die beiden vier Jahre nach dem Unglück mit dem herabgefallenen Eisbrocken wieder in dem Haus von Saaras Kindheit leben. Schwanger ist Saaras Stiefmutter, doch verläuft diese Schwangerschaft nicht ohne Sorgen, und wirklich angekommen ist die Stiefmutter in dem Sägemehlhaus auch nie. Die Distanziertheit, mit der die Stiefmutter Saara betrachtet - stets spricht sie von ihr als 'das Mädchen' - hat mich dabei ehrlich gesagt verstört, und irgendwie wirkt diese Stiefmutter wie ein Fremdkörper in diesem Haus.

"Und so wie der Himmel und das Meer nicht zuverlässig sind, so ist es auch die Erde nicht. Eisbrocken fallen vom Himmel, Blitze schlagen ein. Wellen spülen über das Deck, und manchmal reißt schlicht und einfach die Erde auf." (S. 129)

Im vierten Abschnitt schließlich berichtet wieder Saara von ihrem Leben nach der Rückkehr ins Sägemehlhaus. Dieser Abschnitt war für mich der befremdlichste, denn immer wieder halten Inhalte von Märchen hier Einzug, und die Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen. Märchen sind grausam - das Leben manchmal auch. Und die Bilder der Märchen lassen diese Grausamkeit, das Willkürliche, die Gnadenlosigkeit des Zufalls noch einmal deutlicher werden.

Von der Macht des Schicksals erzählt dieses Buch, oft leicht in der Sprache, dabei meist schwer im Inhalt, was einen reizvollen Kontrast darstellt. Die Frage nach dem 'Warum' oder dem 'Warum nicht' wird hier in den Raum gestellt, und dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als dieser Frage ebenfalls nachzugehen, sein eigenes Leben zu durchforsten und erleichtert aufzuatmen, wenn das Schicksal ihn bislang verschont hat - doch der Frage nach dem Sinn hinter alldem kann er sich nicht entziehen.

Ein forderndes Buch, keine bequeme Lektüre, doch ein Roman, den ich letztlich wirklich gerne gelesen habe.

© Parden