Rezension

Von Familienproblemen und Lebenslügen

Die Lichter unter uns - Verena Carl

Die Lichter unter uns
von Verena Carl

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ferien in Taormina Ende Oktober: Vater Jo, Mutter Anna und die beiden Kinder: Judith, ein etwas schwieriges Mädchen, und Bruno, der unkomplizierte Strahlemann. Vor vielen Jahren haben Anna und Jo dort ihre Hochzeitsreise in einem Luxushotel verbracht. Nun schaut Anna ohne rosarote Ferienbrille auf die Welt: die düstere und schmuddelige Ferienwohnung, die etwas trostlose Umgebung mit bröckelnden Fassaden, der Strand mit chinesischen Masseurinnen, den 'Marketenderinnen der globalen Welt'.

Auch bei Anna scheint die Fassade zu bröckeln und überhaupt entspricht der Zustand des Urlaubsortes ihrem Gemütszustand. Sie ist melancholisch und unglücklich, fühlt sich unattraktiv und unsichtbar und auch ihre Ehe stellt sie in Gedanken in Frage. Ist das jetzt eine Art Midlifecrisis, eine Torschlusspanik? Sie wirkt sehr desillusioniert und alles, was sie früher nicht gestört hat, als sie jung war, macht ihr jetzt etwas aus, zieht sie runter.

"Wenn man jung ist, kann einem nichts etwas anhaben." (22)

Dazu kommen berufliche und finanzielle Schwierigkeiten, die Verantwortung für Kinder, für eine Familie, die Notwendigkeit, es immer allen recht zu machen. Das ist im Urlaub besonders schwierig, wo jeder eine andere Vorstellung hat und die Struktur des Alltags fehlt. Die Ehepartner haben füreinander kaum noch Zeit und ihre Ehe leidet ein wenig unter Abnutzungserscheinungen.

Und dann ist da plötzlich dieser Alexander, auch nicht mehr ganz jung. Er scheint all' das zu haben, was Anna vermisst: Familienglück in Person einer jungen schwangeren Frau, einen gut aussehenden Sohn, genug Geld für ein Domizil im Luxushotel.

Als Anna einen Blick von ihm auffängt, interpretiert sie all das hinein, was sie vermisst, ihre Sehnsüchte und ihr Verlangen, noch einmal begehrt zu werden.

Ist alles wirklich so, wie Anna das sieht oder ist es nur Fassade? Sind andere glücklicher als sie? Was darf man vom Leben erwarten?

Die Autorin lässt Anna die Welt ganz aufmerksam und bewusst beobachten. Es gefällt mir sehr, wie sie die Alltagsdinge wahrnimmt und in poetische oder treffende Worte fasst, auch, wie die Zustände in der Natur, die Beschreibungen der Umgebung die Seelenzustände der Personen widerspiegeln. Was fehlt, ist der Spannungsbogen im Roman, eine Handlung, die nicht dahin plätschert, sondern den Leser mitreißt und nicht am Ende etwas ratlos zurücklässt.